Aus: "Graswurzelrevolution", Nr. 319, Mai 2007

Auf den Spuren der Atom-Faschisten

Seit Februar 2007 ist es bekannt: Das Essener Hochdruck Röhrenwerk (EHR) mit seinem Zweigwerk in Dortmund baut nicht nur Teile für den Hochtemperaturreaktor in Südafrika, sondern auch für das 1995 nur zu 80 % fertiggestellte Atomkraftwerk Atucha 2 in Argentinien.

Damals war der Staat pleite und konnte nicht weiterbauen. Bereits Mitte der 70er Jahre gewährte die BRD der damaligen argentinischen Militärdiktatur für den von Siemens gebauten Reaktor Atucha 1 einen besonders günstigen Kredit.

Aus: Homepage von EHR, 2007Wenn nun nach zwölf Jahren Stillstand Atucha 2 mit Hilfe einer bundesdeutschen Firma zuende gebaut werden soll, darf daran erinnert werden, das es 1979 im Vorfeld der damaligen Bauentscheidung zu erheblichen internationalen Verwicklungen gekommen ist. Die US-Regierung wurde auf den sich anbahnenden atomwaffenrelevanten Deal mit den bundesdeutschen Firmen KWU und Uhde (Dortmund) aufmerksam und versuchte ihn zu verhindern.

Die KWU setzte sich mit einem raffinierten Trick dennoch durch. Während sie den Reaktor baute, ging der Auftrag für die umstrittene Schwerwasseranlage, die den Bau einer Atombombe möglich machte, an die schweizer Firma Sulzer. Das formal getrennte Geschäft ermöglichte beinahe als Ergebnis trotzdem den Militärs die Atombombenproduktion, um mit dem damals verfeindeten Brasilien in einen nuklearen Rüstungswettlauf einzutreten.

Lediglich der steile wirtschaftliche Abstieg Argentiniens verhinderte bis heute die Fertigstellung von Atucha 2. Im September 2007 soll nun mit Hilfe der EHR der Reaktor zuende gebaut werden. So weit, so schlecht. Aber es kommt noch schlimmer.

Aus: "Der Griff nach der Bombe", FDCL, 1981Nazi-Wissenschaftler helfen bei nuklearer Forschung

Das autoritär-diktatorische Regime in Argentinien erwies sich nach 1945 als Profiteur einer "nuklearen Rattenlinie", weil es geflüchtete Nazi-Wissenschaftler aufnahm, um sie in der militärischen und nuklearen Forschung einzusetzen. Etwa zweihundert deutsche Wissenschaftler waren in den Forschungseinrichtungen der Streitkräfte tätig. Etwa 40 Prozent waren Mitglieder der NSDAP. Dies kann im Berlin Document Center nachgelesen werden. Einige von ihnen hatten noch bis 1945 versucht, durch Atombombenexperimente Hitler zum "Endsieg" zu verhelfen.

Nach über zehn Jahren "Übergangsquartier" im ebenfalls antisemitisch eingestellten "vierten Reich" Argentinien kamen sie nach Westdeutschland zurück und bekleideten allerhöchste Führungspositionen in den neugeschaffenen Kernforschungszentren (KFZ) Jülich und Karlsruhe.

Der ehemalige SS-Obersturmbannführer Alfred Boettcher beispielsweise wurde 1960 wissenschaftlicher Leiter des KFZ Jülich und war für die nuklearen Beziehungen zu Argentinien, Brasilien und Südafrika zuständig. Damals allesamt schlimme Diktaturen. Es war eine echte deutsche Spezialität, ausgerechnet mit Diktaturen zusammenzuarbeiten. Verwunderlich ist es jedoch nicht.

 

Aus: "Der Griff nach der Bombe", FDCL, 1981Die Nazi-Wissenschaftler interessierten sich gerade deshalb für die Atomtechnologie, weil sie schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt begriffen haben, dass hier eine Schlüsselindustrie entsteht, die einmal alle anderen an Macht und Einfluss überflügeln würde und autoritäre, undurchschaubare Entscheidungsstrukturen begünstigt.

Fluchtpunkt für deutsche Nazis war die große deutsche Gemeinde im argentinischen Bariloche, bezeichnenderweise gleichzeitig Atomforschungszentrum des Landes. Vorsitzender des dortigen deutsch-argentinischen Kulturverbundes war der SS-Mann Priebke, der für ein Massaker in den Ardeatinischen Höhlen bei Rom im Jahre 1944 verantwortlich war. Es wurden 335 Menschen getötet, davon 75 Juden. Obwohl er regelmäßig beim Deutschen Botschafter in Buenos Aires seinen deutschen Pass verlängerte und die BRD mehrmals besuchte, wurde er nicht belangt. Erst als 1995 ein US-Fernsehteam ihn in Bariloche "aufspürte", wurde er nach Italien ausgeliefert und verurteilt. Die Dortmunder Zentralstelle für die Verfolgung von NS-Verbrechen hatte hingegen ihre Ermittlungen in den 60er Jahren eingestellt. Kein Wunder: Acht damalige Behördenleiter waren früher selbst Mitglied der NSDAP oder der ihr angeschlossenen Organisationen. Der Skandal war perfekt.

Argentinien und Brasilien haben 2005 ein internationales Abkommen zur Entwicklung der Reaktorlinie Generation IV, zu der auch der Hochtemperaturreaktor (HTR) gehört, abgeschlossen. Der HTR wurde in eben jenem Kernforschungszentrum Jülich entwickelt, wo Dutzende von ehemaligen Nazi-Wissenschaftlern in allerhöchsten Positionen eine neue Heimat gefunden haben - und sogar für intensive Nuklearkooperationen mit diesen Diktaturen zuständig waren. Die Vorarbeit der Nazi-Wissenschaftler hat sich also für die Atomindustrie gelohnt.

 

Aus: WA vom 27. 8. 1996

Anmerkung:

Im Jahr 2006 übernahm "Bilfinger Berger" die Essener Hochdruck-Rohrleitungsbau (EHR).

Ein weiterer sehr ausführlicher Artikel zu diesem Thema mit Schwerpunkt Brasilien stand 2011 in "Lunapark21":

Atomanlage "Angra 3" in Brasilien: Historische Kontinuitäten aus faschistischer Zeit

http://www.machtvonunten.de/atomkraft-und-oekologie.html?view=article&id=185:atomanlage-angra-3-in-brasilien&catid=20:atomkraft-und-oekologie 

 

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