Aus: "Graswurzelrevolution" Nr. 363, November 2011
Atomkraftwerk Angra 3 und die deutschen Atom-Nazis
Während die Morde der Stiefel-Nazis berechtigterweise momentan für viel Aufmerksamkeit und Entsetzen sorgen, wird die jahrzehntelange Zusammenarbeit von Nadelstreifen-Nazis mit Militärregimes und den deutschen Bundesregierungen beim Export von Atombomben-Know how nur wenig beachtet. Das ist bedauerlich. Denn die Bewegung gegen die Hermesbürgschaften für das brasilianische Atomkraftwerk Angra 3 könnte ihre atomkraftkritische Argumentation um die Darstellung einiger zusätzlicher Zusammenhänge und Argumente erweitern.
Genscher und Westerwelle
Nicht nur die beiden liberalen Außenminister Genscher und Westerwelle waren bzw. sind in den Nukleardeal mit Brasilien involviert, sondern die Ursprünge dieser Kooperation gehen in die Zeit des Faschismus zurück. Bereits am 10. und 11. August 1944 berieten führende Naziwissenschaftler und Wirtschaftsführer, wie angesichts der sich abzeichnenden Niederlage Deutschlands im zweiten Weltkrieg die Atom- und Raketenforschung sowie Finanz- und Machtmittel in die neue Zeit hinübergerettet werden könnten. Mehr als 500 Millionen Doller von der SS in Konzentrationslagern geraubten Devisen, Gold und Diamanten wurden mobilisiert, um den Wissenschaftlern einen neuen Start zu ermöglichen. Beteiligt waren Karl Winnacker, NS-Generaldirektor der berüchtigten IG-Farben und späterer Freund Genschers und Mitglied im deutschen Atomforum. Und der ehemalige SA-Mann Wilhelm Groth, später Professor und Arbeitsgruppenleiter der Kernforschungsanlage Jülich.
Uranzentrifugen
Der brasilianische Admiral und Physiker Avaro Alberto knüpfte 1946 und 1953 Kontakte mit deutschen Stellen, um für sein Land die begehrte nukleare Technologie zu erwerben. Da die Atomforschung nach 1945 nur unter strengen Auflagen der Alliierten erfolgen konnte, war Professor Groth froh, dass der spendable Admiral 1955 80.000 Dollar auf das Konto des Instituts für Physik und Chemie der Universität Bonn überwies. Die Finanzierung der ersten drei Uranzentrifugen war gesichert. Sie wurden in Westdeutschland an verschiedenen Orten gebaut und sollten still und heimlich nach Brasilien geschafft werden. Dazu kam es zunächst nicht, weil sie vom alliierten „Military Board of Security“ beschlagnahmt wurden. Erst später während der Amtszeit vom Bundesminister für Atomfragen, Franz-Josef Strauß, gelangten die Uranzentrifugen nach Brasilien. In der mit dieser Sache befassten von Strauß eingesetzten Atomkomission sass der oben erwähnte Karl Winnacker.
Kernforschunszentren Jülich und Karlsruhe
Während der 60er und 70er Jahre wurde die nukleare Kooperation zwischen Brasilien und den Nazi-Wissenschaftlern in den Kernforschungszentren Jülich und Karlsruhe fortgesetzt. Der Urenco-Ableger Uranit forschte im Kernsforschungszentrum Jülich 1971 mit finanzieller Hilfe des Wissenschaftsministeriums an der Brennstoffversorgung für Atomkraftwerke (und damit auch für Atombomben). Kurze Zeit später standen 1972 in Jülich sechzig Offiziere der brasilianischen Militärdiktatur auf der Matte und ließen sich die vielfältigen Möglichkeiten der Verwendung von Uranzentrifugen genauer erklären.
Drei Jahre später unterschrieben Außenminister Genscher und sein brasilianischer Amtskollege den deutsch-brasilianischen Atomvertrag, der acht Reaktoren, Urananreicherung und Wiederaufarbeitung umfasste. Die 1976 erfolgte Kreditabsicherung durch bundesdeutsche Hermesbürgschaften sind diejenigen Bürgschaften, um deren Verlängerung und Erneuerung es heute geht.
Der Bau des umstrittenen Atomkraftwerks Angra 3 wurde 1986 eingestellt und die Einzelteile wurden tropengeschützt verpackt und für 15 Millionen Euro jährlich eingelagert. Mit deutscher Hermeshilfe sollen sie jetzt wieder aus der Mottenkiste hervorgeholt werden.
Joschka Fischer
Das alles wurde eingefädelt durch den deutschen Außenminister Westerwelle, der 2010 in Brasilien zu Besuch war. Die siebenjährige rotgrüne Episode zwischen den beiden FDP-Außenministern Genscher und Westerwelle hat den nuklearliberalen Bestrebungen keinerlei Abbruch getan. Der grüne Außenminister Joschka Fischer blockierte während seiner Amtszeit jedes konsequente Vorgehen, das die Nuklearvereinbarungen zurücknehmen wollte.
Bei Angra 3 und dem deutsch-brasilianischen Atomdeal geht es nicht nur um berechtigte Sicherheitsbedenken, Erdbebengefährdung oder eine verfehlte Energiepolitik, sondern auch um die Vorbereitung für Atombombenbau und deutsche historische Kontinuitäten aus der Zeit des Faschismus bis in die heutige Zeit hinein. Wenn im Januar 2012 die Entscheidung in Sachen Hermeskredit für Angra 3 fällt, sollte dies nicht vergessen werden.
Anmerkung
Ausführliche weitere Informationen befinden sich in dem Artikel „Atomanlage "Angra 3" in Brasilien: Historische Kontinuitäten aus faschistischer Zeit" in der Zeitschrift "Lunapark21", Nr. 14, 2011:
http://www.machtvonunten.de/atomkraft-und-oekologie.html?view=article&id=185:atomanlage-angra-3-in-brasilien&catid=20:atomkraft-und-oekologie