Aus: "Graswurzelrevolution" Nr. 460, Sommer 2021, veröffentlicht am 23. Juni 2021
Das Weiterleben der NS-Täter
Gruppe S. und faschistische Kontinuitäten
Über die Gruppe S. und den Beginn ihres Gerichtsprozesses schreibt für die Graswurzelrevolution Horst Blume. In seinem Artikel verweist der Autor auf Hintergrund und Vernetzungen dieser rechtsterroristischen Organisation und entdeckt dabei erschreckende Details und Zusammenhänge, wie z.B. einige bemerkenswerte Verbindungen zur Zeit des Faschismus. (GWR-Red.)
Wäre die ganze Angelegenheit vor Gericht nicht so ernst, könnte man die Darstellung von Thorsten Wollschläger, wie er sich beim ersten Treffen der rechtsterroristischen Gruppe S. vorgestellt habe, für einen kuriosen Stand-Up-Comedy-Auftritt halten: "Ich bin Thorsten, 50 Jahre und komme aus Hamm. Mein Hobby ist das Mittelalter und Fotografieren und ich bin im öffentlichen Dienst" (1).
Wollschläger wurde als Unterstützer der "Gruppe S." am 13. Februar 2020 zusammen mit den anderen zwölf Mitgliedern verhaftet. Der Polizeiverwaltungsbeamte fiel zwar durch nationalistische Sprüche und das Tragen rechter Symbole an seinem Arbeitsplatz auf, blieb aber unbehelligt. Er fühlte sich durch die vom Hammer Polizeipräsidenten unterstützte geschichtsrevisionistische Homepage "Polizeihistorische Sammlung Paul" (2) in seinen rechten Ansichten bestätigt. Am dritten und vierten Prozesstag (27. und 28. April) wurde er intensiv befragt und mit bei der Hausdurchsuchung gefundenen Materialien konfrontiert. Die "Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus NRW" ist bei den Prozessen anwesend und stellt kontinuierlich ausführliche Protokolle der Gerichtsverhandlungen ins Netz (3).
Zu den Asservaten gehörten Aufkleber, Buttons und ein T-Shirt mit Emblemen der "Identitären Bewegung" und Ausgaben der Zeitung "Junge Freiheit" (4). Auf Nachfrage des Gerichts in Stuttgart-Stammheim gibt Wollschläger "alternative Medien" als seine bevorzugten Informationsquellen an. Sie umfassen das breite Spektrum der extremen Rechten, als "Ergänzung zu den normalen Medien. Wo ich mir ein Gesamtbild über Politik und Weltgeschehen zusammensetze. Ich will mich umfassend mit allem auseinandersetzen und lesen" (5).
Während der Präsentation der Materialien durch das Gericht wurde nachgewiesen, dass Wollschläger Orden, Aufnäher mit SS-Totenkopf und sogar NS-Plakate sammelte und letztere selbst im Copyshop vergrößert hatte. Hinzu kamen Bücher aus der Zeit des Faschismus. So auch der Bildband "Mit Hitler in Polen", um seiner Meinung nach eine "objektive Darstellung" (6) des damaligen Geschehens zu erhalten.
In der Nachfolge der Tätergeneration
Bei der Befragung wurde der familiäre Hintergrund seiner Beschäftigung mit dieser Thematik deutlich: "Die Auszeichnungen seien aus dem Nachlass seines Onkels, der als Panzer-Funker bei der SS-Totenkopf-Division gedient habe. Sein Opa sei bei der Polizei gewesen. Das seien Familiennachlässe und er habe sie als Erinnerung nach dem Tod von Onkel und Opa erhalten und in seinem Arbeitszimmer aufgestellt." Auf die von ihm gesammelten NS-Propagandaplakate angesprochen, behauptete Wollschläger, dass er damit nichts glorifizieren wolle und sah seine Familie in der Opferrolle: "Seine Familie habe viel Leid erfahren im Nationalsozialismus."
Der Fortgang der Befragung zeigte, wie sehr die innerfamiliäre Legendenbildung Wollschläger prägte und wie kritiklos er die dort weitergegebenen Erzählungen übernahm: "Der VR (Vorsitzende Richter) fragt W. nach seiner Haltung zur Waffen-SS. Der antwortet, sein Onkel sei dabei gewesen. 'Ich betrachte die als saubere Soldaten. Mein Onkel hat keine Schweinereien gemacht, hat er mir selber gesagt. Da gab’s viele, die sauber waren. Die anderen habe ich nicht beachtet.' Weiter gibt er an: 'Mein Onkel war immer auf Veteranentreffen der SS. Nach seinem Tod ist die Tante hingefahren, Vater und ich sind zwei, dreimal mit hingefahren.' Das war eine sehr, sehr traurige Angelegenheit. [...] Die haben die Hölle durchgemacht.'" Bei der Durchsuchung von Wollschlägers Wohnung wurde ein Brief vom 2. März 2006 an die SS-Truppenkameradschaft "Totenkopf" gefunden, indem er seine Bereitschaft bekundete, als jüngeres Mitglied aktiv zu werden, um der "Verdrehung der Geschichte zu begegnen" und das "Andenken an unsere Soldaten aufrecht zu erhalten" (7). Die SS-Division Totenkopf wurde im KZ Dachau aufgestellt und war an zahlreichen Kriegsverbrechen beteiligt (8).
Hammer Polizeipräsidenten bleiben untätig
Nur einmal kam Wollschläger auf die vom Hammer Polizeipräsidenten unterstützte "Polizeihistorische Sammlung Paul" zu sprechen, weil er vom Richter auf ein bei ihm gefundenes Foto des Hammer Polizeipräsidiums aus dem Jahr 1937 mit großen Hakenkreuzfahnen angesprochen wurde. Das Foto hat er tatsächlich aus seiner so geliebten Sammlung entnommen, die er im dortigen Gästebuch als "wirklich gut gelungen" (9) lobte.
Auch in dieser Polizeihistorischen Sammlung wurden die deutschen Täter mehrmals als Opfer dargestellt. Auch hier wurden die vom Deutschen Reich ausgehenden Gewaltakte und Verbrechen relativiert und Fotos von lokalen SS-Größen präsentiert (10). Wollschläger konnte sich also auf dieser von offizieller Seite unterstützten Homepage ganz zuhause fühlen. Das Gericht hakte an dieser Stelle nicht weiter nach. Denn ansonsten würden Versäumnisse des Hammer Polizeipräsidiums zur Sprache kommen, weil diese Homepage immer noch nicht abgeschaltet oder grundlegend verändert wurde.
Wollschläger im "Braunen Schutzgebiet"
Wie Wollschläger zur Gruppe S. gefunden hat ist überaus bemerkenswert: "W. möchte mit seinem 'Kennverhältnis' zum Angeklagten Thomas N. beginnen. Diesen – und dessen Freundin – habe er im Juli 2017 beim mittelaltermäßigen Lagern im Katharinenhof auf Fehmarn kennengelernt." (11) Dazu sollte mensch wissen: "Schleswig-Holstein galt nach 1945 als 'Braunes Schutzgebiet', hier fanden die Mörder und Henker des dritten Reiches Unterschlupf, konnten sich ausruhen, und konnten ihr verbrecherisches Wissen weitergeben. Viele Namen, die sich auf Fahndungslisten befanden, aber auch verurteilte (darunter Todesurteile) finden sich in der gehobenen Politik, Justiz, Polizei und Wirtschaft wieder." (12)
Von 1939 bis 1945 war der Katharinenhof Teil der SS-Nordhav-Stiftung (13), die hier ein SS-Erholungsheim betrieb. Der Leiter der polizeilichen Spionageabwehr und Verantwortliche für den persönlichen Schutz hoher NS-Funktionäre, Walter Schellenberger, kaufte im Auftrage von Reinhard Heydrich das Gebäude. Schellenberger war bei dem in der Hammer "Polizeihistorischen Sammlung" mit euphorischen Berichten dargestellten Einmarsch in das Sudetenland (14) an führender Stelle dabei und an der Ausschaltung der antifaschistischen Widerstandsgruppe "Rote Kapelle" beteiligt. Am Kriegsende flüchtete er zunächst über die "Rattenlinie Nord" (15) nach Flensburg. Letztendlich kam er bei den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen mit einer nur zweijährigen Haftstrafe davon. Während dieser Zeit schrieb er seine Memoiren (16).
Heydrich war SS-Obergruppenführer, General der Polizei sowie einer der Hauptorganisatoren des Holocaust und leitete die Wannseekonferenz, bei der die vollständige Ermordung aller Juden beschlossen wurde (17). Seine auf Fehmarn geborene Frau Lina Heydrich war eine sadistische und militante Faschistin, die jüdische Gefangene auf dem geraubten Schloss Breschan bei Prag eigenhändig quälte und anschließend ins KZ schickte. Obwohl sie in der Tschechoslowakei zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt wurde, blieb sie nach 1945 unbehelligt, hetzte weiterhin gegen Juden und betrieb auf Fehmarn die Pension "Imbria Parva", in der sie häufig ehemalige SS-Kameraden ihres Mannes zu Wiedersehensfeiern beherbergte (18). Wollschläger ist sicherlich nicht zufällig und auch nicht nur wegen eines pittoresquen Mittelaltermarktes in Fehmarn auf dem Katharinenhof gelandet und hatte dort seinen Campingwagen abgestellt. Das Gericht fragte und forschte nicht weiter nach, obwohl es sehr naheliegt, sich das gesamte Umfeld einschließlich weiterer UnterstützerInnen und MitwisserInnen genauer anzusehen.
Hinzu kommt, dass Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe vom Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) an den gleichen Orten auf Fehmarn jährlich ihren Urlaub machten. Sie blieben auch dort nicht alleine und versteckt, sondern konnten auf "Blood & Honour"-Strukturen zurückgreifen und hatten ein ihnen gewogenes Umfeld und UnterstützerInnen (19). All dies müsste von dem Gericht noch einmal genauer untersucht und im Zusammenhang gesehen werden.
VerteidigerInnen aus der rechten Szene
Zurück zum Prozess selbst: Unter den 27 VerteidigerInnen dieses Prozesses befinden sich einige bemerkenswerte AktivistInnen aus dem rechten Spektrum. Günther Herzogenrath-Amelung vertrat bisher viele NPD-Funktionäre, die Skinheads Sächsische Schweiz (SSS), den Rechtsterroristen Martin Wiese, der 2003 ein Sprengstoffattentat auf das Jüdische Zentrum München plante. Besonders markant war sein Einsatz für den NS-Kriegsverbrecher Erich Priebke, der mit seinen SS-Leuten bei dem Massaker in den Ardeatinischen Höhlen bei Rom 335 Zivilisten ermordete. Er konnte sich nach 1945 mehr als ein halbes Jahrhundert seiner Haftstrafe entziehen und während seines zeitweiligen Hausarrestes durch Rom spazieren gehen (20).
Verteidiger und Rechtsanwalt Dubravko Mandić steht der Identitären Bewegung nahe, wurde selbst der AfD zu extrem und kam einem Ausschluss durch Austritt zuvor. Er benutzte bei einer Prügelei im Wahlkampf 2019 Reizgas, bedrohte eine Journalistin und nahm ihr das Handy weg, bezeichnete Barak Obama als "Quotenneger" und wurde vom Freiburger Anwaltverein ausgeschlossen (21).
"Unter den Verteidigern ist auch Frank Miksch, Szeneanwalt aus Nürnberg und einst Aktivist der NPD-Jugendorganisation 'Junge Nationaldemokraten'. Er vertrat zuletzt Susanne G., eine Heilpraktikerin, die Sprengmittel beschafft, Morddrohungen gegen Politiker ausgesprochen sowie einen Anschlag auf eine Moschee geplant haben soll. Mikschs Co-Verteidiger ist André Picker. Als ebenfalls bundesweit bekannter Nazianwalt gilt er als gut vernetzt in der Szene. Er soll lange im Vorstand der Rechtspopulisten von 'Pro NRW' und Mitglied bei den Republikanern gewesen sein" (22). Die beiden letzteren Verteidiger behaupteten zu Beginn des Verfahrens, dass die Beschuldigten aufgrund ihrer Zugehörigkeit zum "Prekariat" (23) weder die geistigen Fähigkeiten noch die materiellen Möglichkeiten gehabt hätten, einen "Umsturz" in der BRD durchzuführen und deswegen die Vorwürfe der Bundesanwaltschaft ihrer "Fantasie" entsprungen seien. Dem ist zu entgegnen, dass Wollschläger bei 2.600 Euro Netto-Gehalt nicht dem "Prekariat" angehört und er nachweisbar sehr deutlich Mordabsichten geäußert hat.
Das Gerichtsverfahren, das bereits Corona bedingt unterbrochen werden musste, wird sich wahrscheinlich bis Mitte nächsten Jahres hinziehen. Davon abgetrennt wurde ein Verfahren gegen die Gruppe "Der harte Kern" (24), deren Mitglieder Kontakte zur Gruppe S. hatten. Diese kommen aus dem Umfeld von Bürgerwehren, Hooligans und Wehrsportgruppen. Am 6. Mai 2021 fand bei ihnen eine Razzia statt, um weitere Beweise zu finden. Sie planten, PolitikerInnen und People of Colour zu ermorden.
All dies sind also keine Einzelfälle. Je länger nachgeforscht und ermittelt wird, desto mehr erschreckende Details und Zusammenhänge werden offenbar. Und es zeigt sich ebenfalls, wie sehr der Faschismus seine tiefen Spuren im Denken und Handeln vieler Menschen hinterlassen hat. Es wird nicht nur über die begangenen Verbrechen geschwiegen, sondern entgegen allen historischen Tatsachen dreist gelogen und damit der Grundstein für weitere Verbrechen gelegt.
Anmerkungen:
(2) http://polizeihistorischesammlung-paul.de/index.htm
(3) https://www.mobile-beratung-nrw.de/projekte/prozessbeobachtung-gruppe-s/
(4) http://www.machtvonunten.de/nationalisten-rechte-neoliberale.html?view=article&id=131:altbekannte-junge-frechheit&catid=15:nationalisten-rechte-neoliberale
(6) Siehe Anmerkung 5
(7) Alle Zitate siehe Anmerkung 5
(8) https://de.wikipedia.org/wiki/SS-Division_Totenkopf
(9) http://polizeihistorischesammlung-paul.de/gaestebuch/index.html
(10) http://polizeihistorischesammlung-paul.de/polizeifuehrung/polizeichefs/bild_2.htm
(11) Siehe Anmerkung 5
(13) https://de.wikipedia.org/wiki/Nordhav-Stiftung
(14) http://www.machtvonunten.de/nationalisten-rechte-neoliberale.html?view=article&id=21:hamm-rechtsextremist-bei-der-polizei-unter-terrorverdacht&catid=15:nationalisten-rechte-neoliberale
(15) https://de.wikipedia.org/wiki/Rattenlinie_Nord
(16) https://de.wikipedia.org/wiki/Walter_Schellenberg_(SS-Mitglied)#Privates
(17) https://de.wikipedia.org/wiki/Reinhard_Heydrich
(18) https://de.wikipedia.org/wiki/Lina_Heydrich
(19) https://www.ndr.de/nachrichten/schleswig-holstein/netzwerk115.html
(20) http://www.machtvonunten.de/nationalisten-rechte-neoliberale.html?view=article&id=125:die-schreckliche-deutsche-normalitaet&catid=15:nationalisten-rechte-neoliberale
(21) https://de.wikipedia.org/wiki/Dubravko_Mandic
Weitere Artikel von mir zu diesem Thema in chronologischer Reihenfolge:
"Hamm: Rechtsextremist bei der Polizei unter Terrorverdacht. Polizist und mutmaßlicher Unterstützer der Gruppe S. lobte Homepage der Hammer Polizeihistoriensammlung mit 'wirklich gut gelungen'". Etwa zehnseitiger Originalartikel von August 2020:
http://www.machtvonunten.de/nationalisten-rechte-neoliberale.html?view=article&id=21:hamm-rechtsextremist-bei-der-polizei-unter-terrorverdacht&catid=15:nationalisten-rechte-neoliberale
Über 100 Updates sind hier einsehbar:
http://www.machtvonunten.de/nationalisten-rechte-neoliberale.html?view=article&id=21:hamm-rechtsextremist-bei-der-polizei-unter-terrorverdacht&catid=15:nationalisten-rechte-neoliberale
"Die liebe Polizei ... Begünstigt Hammer Polizeihistorienseite rechtsradikale Einstellungen?". Aus "THTR-Rundbrief" Nr. 153, November 2020
https://www.reaktorpleite.de/?view=article&id=1191:thtr-rundbrief-nr-153-november-2020&catid=72:rundbriefe-2020#Thema1
"'Nur Einzelfälle'. Die Hammer Polizeihistoriensammlung bestärkte rechtsterroristisches Weltbild der 'Gruppe S.' Aus: "Graswurzelrevolution" Nr. 455, Januar 2021
http://www.machtvonunten.de/nationalisten-rechte-neoliberale.html?view=article&id=122:nur-einzelfaelle&catid=15:nationalisten-rechte-neoliberale
"Wie rechts bleibt die Polizei? Die Aufdeckung ihrer Skandale bietet Chancen für Veränderungen". Aus: "Graswurzelrevolution" Nr. 456, Februar 2021
http://www.machtvonunten.de/nationalisten-rechte-neoliberale.html?view=article&id=121:wie-rechts-bleibt-die-polizei&catid=15:nationalisten-rechte-neoliberale