Aus: "Graswurzelrevolution", Nr. 393, November 2014

Medienmesse fast ohne Publikum und ohne neuere Medien

Es hieß doch M-e-d-i-e-n-messe, oder? Und nicht Buchverleger-lesen-sich-gegenseitig-was-vor und kaufen anschließend Bücher vom Nachbartisch? - Um eins klarzustellen: Ich habe nichts gegen Gespräche mit netten Leuten, Buchvorstellungen oder gegen Bücher. Ich besitze sogar selbst welche. Gegen verschiedene Veranstaltungsthemen zu Hartz IV, Selbstverwaltung in Argentinien, Mühsam & Klettern will ich gar nichts sagen.

3. Libertäre MedienmesseAuch das kleine schwarze Männchen, das in einer Ecke hinter dem Büchertisch hockte und selbstvergessen an einem Blättchen herum mümmelte, hat ein Recht darauf, zu existieren. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte man es sogar ganz frei herumlaufen lassen können. Quasi als Nostalgiemännchen, das wie im Museum über die Einführung der Buchdruckerkunst im 16. Jahrhundert eine Moritat mit Zeigestock und Malebild zum Besten gibt oder sich schon ganz schön forsch an einem Filmprojektor aus dem 19. Jahrhundert zu schaffen macht. Letzteres haben ja sogar die VeranstalterInnen aufgegriffen und zwei richtige Filme vorgeführt.

Doch die immensen Umwälzungen in der Medienlandschaft und in der Mediennutzung kamen auf dieser Medienmesse als großes Thema nicht vor. Welche Chancen und Gefahren bestehen bei den neuen Medien Twitter und Facebook, E-Book?

Welche Erfahrungen wurden gemacht, um andere Menschen auf unsere Inhalte anzusprechen oder einzubeziehen? Welche Möglichkeiten bieten Bürgerfunk, Freie Radios, Graswurzel TV, You Tube? Oder die gute alte Stadtteil- oder Betriebszeitung, der Netzauftritt? Sind unkonventionelle Maßnahmen mit Installationen, Skulpturen und Ausstellungen an ungewöhnlichen Orten sinnvoll? Gibt es Beispiele einer Zusammenarbeit mit KünstlerInnen? Bieten eine Performance, Living Theatre, Straßentheater heute noch interessante Möglichkeiten und wie lassen sie sich gegebenenfalls in die politische Arbeit einbauen? Wie wird heute in den Medien gelogen und desinformiert; welche Mechanismen laufen da ab? - Fragen gibt es genug. Sie wurden hier noch nicht einmal gestellt. Denn offensichtlich regt die Fokussierung auf die alt-mediale anarchistische Trinität von Buch, Broschüre und Blättchen die mediale Kreativität nicht mehr allzu sehr an.

3. Libertäre MedienmesseDiese libertäre Medienmesse fand ohne breite Medienöffentlichkeit (Ausnahme: Neues Deutschland) und folgerichtig fast ohne "echte" BesucherInnen statt: Wenn hinter einem Büchertisch etwa vier Leute standen, so waren es bei 37 Verlagen/Projekten insgesamt etwa 150. Kommt nochmal die gleiche Anzahl von mitgebrachten FreundInnen und Bekannten hinzu, sind wir bei etwa bei 300 "BesucherInnen" - und das Potemkinsche Papier-Dorf kann bestaunt werden!

Im Lokalfernsehen oder in den Redaktionen der Zeitungen im Ruhrgebiet sitzen genügend JournalistInnen, die über diese Messe sicher gerne im Vorfeld berichtet hätten. Haben die VeranstalterInnen dieser Medienmesse während ihrer bisherigen Arbeit in den sozialen Bewegungen in den letzten Jahren niemals versucht, Kontakte dorthin aufzubauen? - Oder wenn die bürgerlichen Medien etwas nicht abdrucken, den Aufbau von Alternativen angedacht, der über die Auslage von Flugblättern in ein paar Szenekneipen hinausgeht?

Die Frage, wie wir mit anderen Menschen kommunizieren ist eine elementar wichtige und wurde selbst auf dieser "Medienmesse" stiefmütterlich behandelt. Es reicht eben nicht aus, befreundete FacebookteilnehmerInnen innerhalb von drei Tagen mit elf (!) Einladungen zu Einzelveranstaltungen zu überschwemmen und das dann als effektive und zeitgemäße Werbung anzusehen. Eine kontroverse Podiumsdiskussion zur Nutzung von Facebook wäre übrigens auch eine sinnvolle Veranstaltung auf einer Medienmesse gewesen.

Anmerkung:

Der Artikel, auf den sich dieser Beitrag bezieht, ist hier nachzulesen:

"Frauen, Arbeit, Migration... und einiges mehr! Die 3. libertäre Medienmesse in Essen - Ein Erlebnisbericht" in GWR 392, Oktober 2014

http://www.graswurzel.net/392/limesse.php

 

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