Aus: "Graswurzelrevolution", Nr. 292, Oktober 2004

Im Ver.di-Keller

Der Beginn des Widerstandes gegen Hartz IV in Hamm

Hartz4-Aktion in HammDie lokale ver.di-Geschäftsstelle hatte 400 arbeitslose Mitglieder eingeladen, um auch in Hamm eine Montagsdemo vorzubereiten und 40 kamen. Der neukonstituierte Aktionskreis verteilte innerhalb weniger Tage einen etwas allgemein gehaltenen Aufruf in einer Auflage von 10.000 Exemplaren vor dem Arbeitsamt, den Sozialämtern und in den Stadtteilen.

Das war eine beachtliche Leistung. Material und Keller stellte Ver.di unbürokratisch zur Verfügung. Hier unten wurden von den Arbeitslosen die Plakate gemalt und dabei manche Gespräche geführt. Persönliche Erfahrungen bei der Arbeitssuche und beim Amt waren ein wichtiges Thema. Die Ver.di-Hauptamtlichen stellten hier und bei der Vorbereitung der Montagsdemo immer wieder die "allwissenden" Adressaten für die Fragen der Arbeitslosen dar. Sie bemühten sich aber, niemanden zu vereinnahmen oder zu bevormunden.

Flugi vom "Arbeitskreis Montagsdemonstration"Der erste Presseartikel mit der Ankündigung erschien in der Lokalzeitung. Anschließend ging im Lokalradio der örtliche IG-Metall-Chef auf Distanz und erklärte vielsagend, dass die CDU schlimmer als die SPD sei. Kirchen und Sozialverbände waren an dem Protest desinteressiert. Die Nervosität im Ver.di-Haus stieg mit jedem Tag. Werden wir von allen im Stich gelassen, haben wir uns zu weit vorgewagt, fragten sich enige Ver.di-Leute. Unterdessen dichteten die Plakate-Malernnen im Keller immer radikalere Sprüche und ich fasse den Mut, schon mal einen Redebeitrag für die Demo anzumelden, was dankbar angenommen wurde.

Später als woanders hatte auch Hamm am 30. 8. seine Montagsdemo. Es kamen 300 Menschen. Mit so Vielen hatte keiner gerechnet. Jedoch waren UmweltschützerInnen, Grüne, Dritte-Welt-Aktive und die Naturfreunde nicht dabei. Sie alle hatten uns im Stich gelassen und wir waren ganz auf uns allein gestellt. Nur am Rande der Kundgebung lauerte der SPD-Oberbürgermeister-Kandidat mit Anhang, um in Gesprächen verirrte Schäfchen wieder einzufangen.

Während der Ver.di-Geschäftsführer in seinem Redebeitrag die zahlreichen Anwesenden freudig begrüßte, kamen mir immer mehr Zweifel, ob meine geplante Rede überhaupt zu dieser Veranstaltung passen und verstanden werden würde. Denn ich hatte nicht nur mit einigen Anderen einen Einwohnerantrag gegen Ein-Euro-Jobs in der Kommune vorbereitet, sondern wollte auch zum zivilen Ungehorsam aufrufen.

Hartz4-Aktion in HammDa die örtliche Anti-Atom-Bewegung so gute Erfahrungen mit direkten Aktionen wie Blockaden oder Besetzungen vom Ministerium oder gar Kühltürmen gemacht hatte, könnten wir jetzt doch Parteizentralen, Rathaus und Arbeitsamt eine ähnliche Behandlung angedeihen lassen, bevor der Herr Kanzler wieder alles aussitzt. Und da Schröder ohnehin zwei Tage später nach Hamm kam, hatte ich hierfür bei den Vorbereitungssitzungen eine Picket-Line als Aktionsform vorgeschlagen.

Der Mensch an der großen Protokoll-Tafel fragte auch gleich "wie wird das überhaupt geschrieben und was ist das denn?" und ich erklärte: Aus der Bürgerrechts- und Friedensbewegung der 50er und 60er Jahre kommend .....eine einfache Methode, um mit wenigen Menschen optimal präsent zu sein und überdies auch noch sehr diszipliniert. Dies überzeugte bei der Vorbesprechung alle - aber auch jetzt noch hier auf dem Marktplatz?

Meine Rede kam sehr gut an und wurde oft von Beifall unterbrochen. Etliche Betroffene gingen dann noch zum Mikro und machten spontan ihrem Ärger Luft. Ein Teil der Reden wurde am Tag darauf im Lokalradio gesendet. Der "Westfälische Anzeiger" machte aus 300 TeilnehmerInnen 150, sodass wir in der öffentlichen Wahrnehmung unterbewertet wurden. Nicht umsonst hatte ich diese Zeitung als "reaktionäres Provinzblatt" bezeichnet und dafür den lautesten Beifall eingeheimst.

Flugi von dem "Arbeitskreis Montagsdemonstration"Als ich am nächsten Tag stolz wie Oskar zum Lokalradio "Lippewelle Hamm" ging, um es auf unsere Picket-Line beim Kanzler einzustimmen, sah mich die Redakteurin (übrigens Ver.di-Mitglied) etwas ungehalten an und sagte: "Horst, du hast wieder alle beleidigt!" Versprach aber, die Picket-Line irgendwie bei den Lokalnachrichten unterzubringen. Mehr kann man von einem SPD-Mitglied wirklich nicht verlangen. Beim Hinausgehen sprach mich der sich sonst immer so linksliberal gebende Chef der Stadtbücherei an und erklärte mir eindringlich, dass man bei der ganzen Demonstriererei um Himmels Willen nicht der CDU in die Hände arbeiten dürfe. Am Dritte-Welt-Laden vorbeikommend frage ich nach, warum es mit dem Massenmail-Verteiler für die Demo diesmal nicht geklappt hat, denn bei unseren Friedens-Veranstaltungen war das doch in der Vergangenheit noch nie ein Problem. – Ah so, ich verstehe, es laufen gerade wieder ein paar Förder-Anträge und da will man sich nicht unbeliebt machen....

Am Mittwoch kam der Kanzler ins Kurhaus und wir stellten uns mit etwa hundert TeilnehmerInnen gegenüber auf dem Bürgersteig an der stark befahrenen Straße mit unseren Plakaten auf. Es klappte alles bestens und die vorbeifahrenden LKW-FahrerInnen hupten begeistert, sodass die Polizisten irritiert die Hälse reckten. Wir betätigten die Trillerpfeifen. Ein Ver.dianer hatte ein dickes Bergsteigerseil mitgebracht, um entlang der Linie zu demonstrieren: "Wir ziehen alle an einem Strang". Und weil mensch das Seil festhalten musste, hatte auch keiner eine Hand frei, um womöglich Eier zu werfen ....

Die Reporter gingen die Reihe ab und machten ihre Interviews und Bilder. Hunderte von SPD-AnhängerInnen trudelten ein, guckten uns verwundert bis mürrisch an und verdrückten sich in den Saal. Davor standen IGBCE-Mitglieder in Kanzler-T-Shirts, verteilten Flugblätter und gaben Interviews. Damit alle sehen konnten, dass hier eine DGB-Gewerkschaft gegen die Andere demonstrierte, wurden bei uns die roten Ver.di-Käppis verteilt. Ja, genau die, über die ich mich in der vorletzten Graswurzelrevolution lustig gemacht hatte, weil diese Uniformierung meiner Meinung nach eine Vereinnahmung der Demo am 3. April in Köln war. Jetzt stand dieses "rot" allerdings für ein recht beherztes politisches Eingreifen gegen die Einheitsfront der Agenda 2010-Bejubler und war in Ordnung.

Das überregionale Medienecho war zufriedenstellend. Das rechte Provinzblatt in Hamm veröffentlichte jedoch insgesamt neun (!) Fotos von der Kanzler-Veranstaltung. Ganz weit hinten im Blatt zeigte nur das allerkleinste Mini-Bildchen unsere Protestaktion mit folgender Unterzeile: "800 Besucher kamen ins Kurhaus ... und 69 Demonstranten blieben draußen."

Anmerkung:

Im Hammer "Stadt-Anzeiger" auf Seite eins wurde allerdings am 11. Oktober 2004 ein recht guter Artikel abgedruckt:

 Stadt-Anzeiger vom 31. Oktober 2004

 

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