Aus: "Westfälischer Anzeiger" (WA) vom 22. Dezember 1979
THTR- größter Fehlschlag der Atomindustrie
Es ist für mich klar, dass FDP-Mitglied Georg Schroeter mit der Lupe herangeht, um ein Haar in der Suppe bei der Bürgerinitiative zu finden. Es sind ja Umweltschützer, die zunehmend im Begriff sind, die FDP als dritte Kraft zu verdrängen. Vor den Wahlen waren die Umweltschützer von den Herren Liberalen andere Töne gewöhnt. Anscheinend geht es ihnen nur darum, die Stimmen der Umweltschützer für ihre eigene Machtpolitik zu sammeln. Der vielbeschworene mündige Bürger wird sich dies für die Zukunft sicherlich merken.
Auch wenn man über die Repräsentativität der Stichprobenbefragung der Bürgerinitiative streiten kann, möchte ich folgende Anmerkungen machen:
1. Den Behörden und Energieunternehmen, die Macht- und Propagandamittel in großem Ausmaß zur Verfügung haben, stehen einfache Bürger gegenüber, die um ihr Recht auf Information und Mitbestimmung betrogen werden. Es würde ganze Bände füllen, wenn man alle Fälle aufzählen wollte, wo Bürger Einsicht in Katastrophenpläne, Gutachten und Erörterungsterminprotokolle nur nach langen Auseinandersetzungen oder überhaupt nicht bekamen. Aber dies ist Schroeter nicht genug: Wem Informationen vorenthalten werden, dem will er auch noch verbieten, mitzubestimmen! – Das ist ein Skandal!
2. Der Thorium-Hochtemperaturreaktor (THTR) hat sich zu den größten Fehlschlägen der deutschen Atomindustrie entwickelt, obwohl sie durch Vorgänge im Ausland hätte gewarnt sein können: 1970 gaben die Franzosen dieses Projekt auf, 1973 die Engländer und 1975 die Amerikaner. Die "US-Atomic" hat alle Lieferverträge für Hochtemperaturreaktoren zurückgegeben und hohe Abfindungen gezahlt.
3. Die Baukosten haben sich von den ursprünglich veranschlagten 770 Millionen DM im Jahr 1971 auf eine heute geschätzte Höhe von 1,75 Milliarden DM verdoppelt.
4. Seit 1967 existiert in der BRD die einzige THTR-Versuchsanlage in Jülich. Folgende Unfälle sind bisher zu verzeichnen:
1971: Ölbrand an den heißen Teilen der Turbine
Januar 1972: Eine Explosion im Brennstoffzellenlabor verursacht eine radioaktive Verseuchung, zu dessen Beseitigung drei Wochen benötigt wurden
Dezember 1972: Graphitabblätterungen bei etwa 200 Brennelementkugeln
Juli 1973: Radioaktives Tritium gelangt in die Atmosphäre
1976: Zwei durch Störungen hervorgerufene Abschaltungen
Mai 1978: Lecks im Dampferzeuger und Endüberhitzer
August 1978: Aus einer Ventilmembran traten 150 Liter tritiumhaltiges Schwerwasser aus; davon wurden 5 Liter über den Kamin abgegeben.
5. Die Versuchsanlage in Jülich hat 15 Megawatt. Die Probleme bei der zwanzig mal größeren Anlage in Hamm-Uentrop (300 Megawatt) werden sich steigern: Beim Ausfall des Kühlgasgebläses bei der Versuchsanlage Jülich würde die Temperatur auf 1.300 Grad C steigen, während der THTR bei Hamm durch die viel größere Nachwärmeproduktion sich auf über 3.000 Grad C erhitzen würde. Damit wäre die Zerstörung des Reaktors unvermeidlich. 6. Schon beim Bau des THTR in Hamm-Uentrop kam es am 12. Januar 1976 zu einem Brand im Spannbetonbehälter.
7. Noch am 19. November 1977 beschrieb Schroeter im WA in einer kleinen Geschichte, welche Blüten der zügellose Energiekonsum doch treibt. In ihr bringt er sogar noch Verständnis für die Bürgerinitiativen auf: "Nach dem Abendessen schauen sich Leonore H. und ihr Ehemann die Tagesschau am Farbfernseher an. Da sagt der Sprecher, daß Überlegungen angestellt werden, in der Nähe von H. ein Kernkraftwerk zu bauen, um den dringenden Energiebedarf zu decken. Frau Leonore H. ist entsetzt. Dagegen muß etwas getan werden, sagt sie und alarmiert die Bürgerinitiative".
Wie sich die Zeiten doch ändern – oder haben nur Sie sich geändert, Herr Schroeter?
Anmerkung
Dies ist eine Reaktion auf den Leserbrief von Georg Schroeter zur "Stichprobenbefragung der Bürgerinitiative Umweltschutz Hamm" vom 14. 12. 1979 in Westfälischer Anzeiger (WA).
Für die Kommunalwahl im September 2020 kandidiert Georg Schroeter in Hamm auf Platz 3 der Ratsliste der Alternative für Deutschland (AfD). Mit Pierre Jung kandidiert auf Platz eins ein Exponent des inzwischen offiziell aufgelösten "Flügels", dessen Führungsfigur der rechtsextreme Politiker Björn Höcke ist.