Aus: "Sozialistische Zeitung" (SoZ) vom 16. 2. 1989

Verbrauchermacht und Ökologiebewegung nicht geringschätzen!

Die Behandlung des Ökologie-Themas im SoZ-Magazin ist für mich eine große Enttäuschung. Dass an der Umweltkrise der Kapitalismus schuld ist, verkommt bei Euch zu einer wortreich ausgewalzten Binsenwahrheit, die nichts Neues bringt. Es ist mir absolut unverständlich, warum nach Ansicht von SoZ-Autoren die Verbraucher keine Verantwortung für die Naturzerstörung tragen, sondern lediglich leidende Objekte seien (siehe Seite 19).

Selbstverständlich gibt es eine Verantwortlichkeit für den eigenen Konsum. Er ist eine wichtige Einwirkungsmöglichkeit auf ökonomische und politische Entwicklungen. Durch Boykott oder gezielten Kauf gesunder und ökologisch sinnvoller Produkte hat der Konsument ein wichtiges Steuerungsmittel in der Hand.

SoZ - Sozialistische Zeitung, 1997, Foto: Horst BlumeUm eine ökologische Gegenmacht aufzubauen, fordert die VSP (Vereinigte Sozialistische Partei) ein innerbetriebliches Vetorecht bei umweltgefährdender Produktion, staatliche Gelder für die Öko-Institute und eine verstärkte gewerkschaftliche Umweltarbeit.

Diese Forderungen sind sicherlich richtig. Sie haben aber keine wirklich vorwärtstreibende Wirkung. Was sollen diejenigen Menschen tun, die nicht das unbeschreibliche "Glück" haben, in einem giftproduzierenden Betrieb arbeiten zu dürfen, um dort nach den Vorstellungen der VSP für Vetorechte zu kämpfen? Diese VSP-Position konsequent zuende gedacht, dürften wir gegen Atomkraftwerke nicht mehr demonstrieren oder blockieren, sondern müssten uns bei den AKW-Betreibern um einen Job bemühen, um innerbetrieblich für eine ökologische Energiepolitik zu werben.

Die Umweltzerstörung ist inzwischen dermaßen lebensbedrohlich geworden, dass wir nicht so lange warten können, bis industriefreundliche und stockautoritäre Gewerkschaften wie die IG Chemie oder die IGBE den Ernst der Lage erkannt haben. Natürlich sollten alle Einwirkungen auf Belegschaften genutzt werden. Deswegen haben wir als Anti-AKW-Bewegung auch öfters Flugblätter vor den Betrieben verteilt. Vielleicht nicht genug. Das optimistische und verbalradikale Bekenntnis "für die politische Macht der Arbeiterklasse" ist mir zu einseitig und dogmatisch ausgerichtet. Hinzukommen müsste gleichberechtigt eine Orientierung, die auf die Verteidigung der Lebensgrundlagen hinausläuft und die nicht verächtlich als Beschäftigung mit der Gattungsfrage abgetan wird!

SoZ - Sozialistische Zeitung, 2014, Foto: Horst BlumeDazu gehört die Anerkennung der Tatsache, dass es neben der Arbeiterklasse auch noch eine breite Basisbewegung gibt, die genauso einen Anspruch darauf hat, als handelndes Subjekt ernstgenommen zu werden. Da in der allwöchendlichen Berichterstattung der SoZ ökologische Probleme durchaus einen hohen Stellenwert haben, würde ich mir wünschen, dass diesem Bereich in der Theoriedebatte der VSP die gleiche Dringlichkeit zukommt, wie der Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit.

Anmerkung

Die VSP (Vereinigte Sozialistische Partei) war eine linkssozialistische Kleinpartei, die sich im Jahr 2000 auflöste:

https://de.wikipedia.org/wiki/Vereinigte_Sozialistische_Partei

Die SoZ (Sozialistische Zeitung) ist eine Monatszeitung, die auch heute noch erscheint. Inzwischen, diesen Leserbrief habe ich ja 1989 geschrieben, setzen sich etliche AutorInnen in ihren Beiträgen für einen "Ökosozialismus" ein und veranstalteten entsprechende Tagungen und gaben Materialien hierzu heraus. Das finde ich erfreulich:

https://www.sozonline.de/

Was tun, Sozialistische Zeitung, 1986. Vorläuferin von SoZ, Foto: Horst Blume

 

Roter Morgen/Was tun. Gemeinschaftsausgabe 1986. "Kuriose Fusion" zwischen Trotzkisten und Maoisten ... Foto: Horst Blume

 

Was tun, Zeitung der Gruppe Internationale Marxisten (GIM) 1974. Vorläuferin der SoZ. Foto: Horst Blume

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