Aus: "FUgE-News" N. 1, 2003
THTR: Hammer Atomkraft für Südafrika und die ganze Welt?
Der für seine enorme Anzahl von Störfällen bekannt gewordene und 1989 stillgelegte Thorium-Hochtemperar-Reaktor (THTR) in Hamm-Uentrop wird unter Umständen eine große Anzahl von Nachfolgern bekommen – weltweit! Denn unter gleich zwei rotgrünen Regierungen in Bund und im Land NRW wurde und wird im Forschungszentrum Jülich (FZJ) an der Weiterentwicklung dieser Reaktorlinie gearbeitet.
Die Variante vom Typ Pebble Bed Modular Reactor (PBMR) soll in Zusammenarbeit mit dem südafrikanischen Energieversorger ESKOM in Südafrika gebaut und insbesondere in Länder der sogenannten 3. Welt exportiert werden. Da bei dieser Variante Plutonium entstehen würde, bekämen zahlreiche Länder auf diese Weise atomwaffenfähiges Material.
Forschungszentrum Jülich
Vorangetrieben und finanziert wird diese Entwicklung hier in Deutschland. Das FZ Jülich, das seit Jahrzehnten auf dem Gebiet der HTR-Entwicklung forscht, hat allein im Jahre 2002 insgesamt 262 Millionen Euro von Bund und Land erhalten. Beide Regierungen betonen in ihren Antworten auf die Anfragen der Bürgerinitiative Umweltschutz Hamm ausdrücklich, dass sie die Atomforschungen und Exportbemühungen des FZ Jülich unterstützen und positiv sehen. Sie fügen hinzu: "ESKOM bereitet sich nach den hier vorliegenden Informationen auf Genehmigungsschritte für den Hochtemperaturreaktor vor".
Nach Recherchen der Zeitschrift "Le Monde Diplomatique" steht ESKOM weltweit in der Kritik. Es handelt sich um ein ehemaliges Schlüsselunternehmen des Apartheidregimes, das mit eigenen bewaffneten Milizen und brutaler Gewalt gegen Bürgerrechtler vorging. In den vergangenen Jahren soll ESKOM zehn Millionen armen Südafrikanern zeitweilig den Strom abgestellt haben, weil sie die überteuerten Preise nicht bezahlen konnten. Außerdem ist dieses Unternehmen an zahlreichen Megaprojekten wie dem Bau gigantischer Wasserkraftwerke in mehreren afrikanischen Staaten beteiligt. Von einem so agierenden Unternehmen ist wohl kaum ein verantwortungsbewusster Umgang mit der Atomkraft zu erwarten.
Kritik und Widerstand
"Die Zeit" schrieb unter der Überschrift "Das Projekt ist dubios" über die vollmundigen ESKOM-Ankündigungen der Strom ihrer Hochtemperaturreaktoren würde nur 1,6 Cent pro Kilowattstunde kosten: "Die niedrige Kalkulation der Südafrikaner sei nur möglich, so die US-Experten, weil sie an der Sicherheit sparen und von einem äußerst günstigen Zinssatz auf dem Kapitalmarkt ausgehen".
Inzwischen regt sich in Südafrika Widerstand. Greepeace hat am vorgesehenen Reaktorstandort während des vielbeachteten Weltumweltgipfels am 24. 8. 2002 eine Protestaktion durchgeführt. Und auch "Earthlife Africa" opponiert gegen die geplanten Reaktoren.
Fragwürdiges Vorbild: THTR Hamm
Nicht vergessen werden sollte, dass die Geschichte dieses Reaktors in Hamm ihren Ausgangspunkt hatte. Noch in den 80er Jahren erschienen in den Zeitungen hunderte von kritischen Artikeln über seine technischen Probleme, die zahlreichen Störfälle und unkontrollierte Radioaktivitätsabgaben – Wissen, das heute kaum noch jemand weitergibt.
Die fatale Folge: In Internetauftritten von Jülich, ESKOM und atomkraftfreundlichen Wissenschaftlern kann von "erfolgreichen und vielversprechenden Probeläufen" des THTR in Hamm-Uentrop schwadroniert werden, ohne dass jemand widerspricht.
Erst wenn die jetzige CDU/FDP-Opposition demnächst wieder als Regierung die Gelegenheit erhält, Hochtemperaturreaktoren in Deutschland zu bauen und dann auf "vielversprechende" Erfahrungen in Südafrika verweisen kann, werden in Hamm möglicherweise wieder einige Menschen protestieren. - St. Florian lässt grüssen!
Anmerkungen
Wie die öffentliche Diskussion und unsere Aktivitäten unmittelbar nach der Veröffentlichung dieses Artikels weitergingen, beschreibt folgender Artikel: "Widerstand am Kap - Schweigen in Deutschland? Bürgerantrag: Hamm soll kritische THTR-Infos Südafrika zugänglich machen" (Herbst 2003)
http://www.machtvonunten.de/lokales-aus-hamm.html?view=article&id=298:widerstand-am-kap-schweigen-in-deutschland&catid=21:lokales-aus-hamm
Wie es in Südafrika in den Folgejahren weiterging, beschreibt dieser Artikel: "Der THTR in Südafrika wird nicht gebaut!" (2009)
http://www.machtvonunten.de/atomkraft-und-oekologie.html?view=article&id=193:der-thtr-in-suedafrika-wird-nicht-gebaut&catid=20:atomkraft-und-oekologie
zurück zur Übersicht - Atomkraft und Ökologie