Aus: "Graswurzelrevolution", Nr. 341, September 2009

Rheinischer Kapitalismus: Moorhuhn kontra Werhahn

Die Auseinandersetzung über die Zukunft der Hochtemperaturreaktoren in der Bundesrepublik findet zur Zeit hauptsächlich im Rheinland statt. Hier liegt nicht nur das Forschungszentrum Jülich, das seit den 50er Jahren an der Entwicklung des Hochtemperaturreaktors (HTR) arbeitet, sondern hier herrscht auch eine der reichsten und einflussreichsten Unternehmerfamilien Deutschlands, der Werhahn-Clan.

Herman Josef Werhahn, Schwiegersohn von Adenauer, ist als Patriarch an zahllosen Braunkohlekraftwerken, Fabriken und Getreidemühlen beteiligt und mit 10 % größter privater Anteilseigner der RWE. Als tragende Säule des "Rheinischen Kapitalismus" zieht er eine weitverzweigte Gefolgschaft von der Privatbankiersfamilie Sal. Oppenheim bis hin zum verwandtschaflich verbundenen Kardinal Frings, Prälaten und Domherren Franz Werhahn hinter sich her. Eine heilige Familie also.

Männer wie wir ... !

Mit dem alten Schlachtruf ihrer hauseigenen Werbe-Musketiere "Männer wir wir – Wicküler Bier!" stürzen sie sich offensiv ins Getümmel, wenn es um ihre Interessen geht. Ihre Hausknappen und NRW-MinisterInnen Thoben und Pinkwart stehen bereitwillig zu Diensten wenn es darum geht, die Weichen der Energiepolitik auf kernig zu stellen, neue nukleare Abenteuer zu bestehen und ertragreiche Goldgruben auszuheben.

Josef Werhahn hat die Entwicklung des HTR von Anfang an als Berater begleitet und war mit dem Schöpfer des HTRs, Professor Rudolf Schulten, befreundet. Um dessen Lebenswerk fortzusetzen, gründete er in sprachlicher Anlehnung an seine Diamant-Mehlmarke die Firma "Siamant GmbH". In ihr wurde versucht, eine Siliciumcarbidschicht auf THTR-Brennelementekugeln aufzubringen, um sie unbrennbar zu machen. Das hat aber nicht funktioniert, wie so Vieles beim HTR nicht.

"Sandkornkleine Panzerkörner"

Die Chancen auf die Realisierung des baugleichen südafrikanischen Pebble Bed Modular Reactors (PBMR) schwanden schon im Jahre 2008. Höchste Zeit für Werhahn, seine mediale Hilfstruppe von "Die Welt" anzuweisen, ein Interview mit ihm über die Vorzüge der HTR-Linie zu führen: "Sandkornkleine Panzerkörner", umgeben von einer "diamantharten Hülle" können doch nichts Böses anrichten, denn "diese Körnchen kommen – ähnlich wie Rosinen ins Brötchen – in eine etwa handgroße Grafitkugel", haltbar "mindestens eine Milliarde Jahre" - pries Werhahn am 14. 11. 2008 die HTR-Technik wie saures Brot an.

Ob beim "Gnadentaler Unternehmertisch", in Verlautbarungen der Industrie- und Handelskammer oder durch diverse Unternehmensberater - überall lässt er das Hohe Lied auf den Hochtemperaturreaktor anstimmen. Er spekuliert darauf, das nach der nächsten Bundestagswahl genauso wie schon in NRW eine schwarz-gelbe Koalition der kränkelnden Reaktorlinie neues Leben einhaucht und er wieder ins Geschäft kommt.

Rumoren in Ruinen

Doch das Rumoren in den Ruinen der nuklearen Steinzeit macht ihm einen Strich durch die Rechnung. Der zwischen 1967 und 1988 betriebene Mini-Versuchs-THTR in Jülich (auch AVR genannt) soll seit Jahren zurückgebaut werden. Das ist kompliziert. "Der Spiegel" schrieb am 20. 7. 2009:

"Ein ganzer Reaktorkern, 2100 Tonnen schwer, wird aus seinem Gehäuse herausgeschnitten. Sieben Spezialkräne wuchten den 26 Meter hohen Koloss in die Horizontale und betten ihn dann auf einen gigantischen Luftkissenschlitten. (...) Seine Strahlung soll hinter tonnenschweren Betonwänden auf dem Forschungsgelände 30 bis 60 Jahre abklingen, bevor Sägeroboter ans Werk gehen können."

Der Reaktor wurde viel zu oft und viel zu lange mit unzulässig hohen Temperaturen betrieben, sodass innerhalb des Reaktorkerns große Mengen an Radioaktivität freigesetzt wurden.

Moorman wurde als "geisteskrank" diffamiert

Aufgedeckt hat diesen Skandal der kritische jülicher Wissenschaftler Rainer Moormann in einer speziellen Studie, die hochoffiziell von dem Forschungszentrum veröffentlicht wurde und inzwischen weltweit in der Atomgemeinde für Aufsehen sorgt. Ein aussergewöhnlicher Vorgang. Der Wissenschaftler mit Zivilcourage hat womöglich das Ende der gesamten Reaktorlinie eingeläutet: Ein Hochtemperaturreaktor, bei dem hohe Temperaturen verheerende Folgen haben, ist überflüssig. Seitdem wird Moormann innerhalb des Instituts und von der Atomlobby heftig angefeindet und als "geisteskrank" ausgegrenzt.

Unterdessen sind die Kosten allein für den Rückbau dieses Minireaktors von ursprünglich veranschlagten 34 Millionen DM auf mindestens 500 Millonen Euro angestiegen. Die Spiegel-Berichte haben andere Medien alarmiert und Moorman ist jetzt ein gefragter Interviewparter.

Altsozialdemokratisches "Musterland" NRW

Und auch Bundesumweltminister Gabriel, assistiert durch Michael Schroeren, in den 70er Jahren GWR-Redakteur und nun Pressesprecher des Bundesumweltministeriums, fragt medienwirksam bei der schwarz-gelben NRW-Landesregierung an, ob alles mit rechten Dingen zugegangen ist. In den letzten Wochen seiner Amtszeit macht er noch kräftig Wahlkampf.

Pikanterweise prüft Gabriel jetzt jedoch, ob Betreiber und Atomaufsicht im altsozialdemokratischen Musterland NRW beim SPD-Lieblingsreaktor etwas falsch gemacht haben. Also ob die SPD-Landesregierung (am Kernforschungszentrum Jülich beteiligt) und die am AVR-Reaktor ebenfalls beteiligten SPD-geführten Kommunen jahrzehntelang womöglich versagt haben. Wir können gespannt sein, was sich die Atomfreunde als Nächstes einfallen lassen, um die aktuellen Niederlagen wieder wettzumachen.

Weitere Infos:

http://www.reaktorpleite.de/nr-127-juli-09.html

 

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