Aus: "Graswurzelrevolution", Nr. 480, Juni (Sommerausgabe) 2023

EU und Mercosur – das ist Ausbeutung pur!

Das geplante Freihandelsabkommen zerstört Lebensgrundlagen

Mercosur ist eine internationale Wirtschaftsorganisation in Lateinamerika. Der Name dieses Binnenmarkts ist die abgekürzte Bezeichnung für den Mercado Común del Sur (Gemeinsamer Markt des Südens). Im Juli 2023 treffen sich in Madrid die RegierungsvertreterInnen der Mercosur-Staaten Brasilien, Argentinien, Uruguy und Paraguay mit denjenigen der EU. Hier soll das größte Freihandelsabkommen der Welt abgeschlossen werden. Es geht um einseitige postkoloniale Abhängigkeiten und Ausbeutungsverhältnisse. Außerdem geht es auch darum, wie sehr durch die von vielen Staaten angestrebte Begrenzung der Klimakatastrophe durch angebliche Dekarbonisierungmaßnahmen das genaue Gegenteil bewirkt wird.

Gegen das angestrebte Abkommen zwischen den Mercosur-Staaten und der EU gibt es seit 2019 erhebliche Proteste. 2021 hat ein Bündnis aus 450 südamerikanischen und europäischen Organisationen dazu aufgerufen, das geplante Freihandelsabkommen zu stoppen (1). Am 17. April 2023, dem internationalen Tag des bäuerlichen Widerstandes, demonstrierten die Arbeitsgemeinschaft Bäuerliche Landwirtschaft (AbL), FIAN und andere Organisationen vor dem Wirtschaftsministerium in Berlin gegen das geplante EU-Mercosur-Abkommen (2).

Foto: Jan Ganschow/Die Auslöser BerlinDie diesjährige intensive Reisetätigkeit von Bundeskanzler Scholz und den Ministern Habeck und Özdemir in Lateinamerika unterstreicht deutlich, dass diese Länder für die kommende Umstrukturierung der deutschen Wirtschaft und Energieversorgung sehr wichtig sind. Alle bisherigen Aktivitäten und die bisher ausgehandelten inhaltlichen Aussagen deuten darauf hin, dass es bei diesem neu justierten "Freihandel" von Seiten der EU weiterhin sehr eigennützig darum geht, den bisherigen ungerechten Welthandel zwischen zwei ungleichen Konkurrenten modifiziert fortzusetzen: Aus Lateinamerika importiert die EU Agrarprodukte, Bodenschätze und neuerdings Wasserstoff (siehe GWR Nr. 479) und die EU exportiert Pestizide, Autos und andere Industrieprodukte in die Mercosur-Staaten.

Soja – so nicht!

Schon die bisherige industrielle Landwirtschaft hat durch Monokultur insbesondere beim Sojaanbau zur exzessiven Entwaldung am Amazonas und im brasilianischen Cerrado (eine Feuchtsavanne so groß wie ganz Mexiko) geführt und das Weltklima erheblich geschädigt. Insbesondere der steigende Sojaanbau in Brasilien sprengt mit zurzeit 43,3 Millionen Hektar (3) alle Dimensionen. Dieses Soja ist genmanipuliert, damit es die von Bayer produzierten Pestizide, die in Zukunft zollfrei nach Brasilien eingeführt werden sollen, verträgt. Oft werden aus der BRD Gifte exportiert, die hier verboten sind!

Die großflächig eingesetzten Pestizide vergiften die Umwelt, die dortigen Menschen und diejenigen, bei denen es über den Tierfutter-Umweg als Fleisch auf den Teller kommt. Billiges, in Massentierhaltung produziertes Fleisch aus Lateinamerika wird die lokale und artgerechtere Produktion in Deutschland deutlich erschweren, weil die Bauern und Bäuerinnen hier bei hohen Produktionskosten und höheren Qualitätsstandards nicht konkurrieren können. Das alles hat mit der von Landwirtschaftsminister Özdemir propagierten nachhaltigeren, regionalen und umweltschonenden Landwirtschaft nichts zu tun!Foto: Jan Ganschow/Die Auslöser Berlin

Amazonien

Der Landraub in Amazonien zerstört eine große Anzahl von diversifizierten landwirtschaftlichen Produktionsweisen und kleinbäuerlichen Strukturen, die an die lokalen Gegebenheiten angepasst sind: "Eine vielfältige Sammelwirtschaft (Kautschuk, Nüsse, Öle) hat inzwischen Kontakt zu modernen Märkten für Naturkosmetika. Maniok, vor der Eroberung das Hauptnahrungsmittel der indigenen Bevölkerung, ist in vielen Gegenden Amazoniens noch das wichtigste Grundnahrungsmittel" (4). Der Verlust der Verfügungsgewalt über das Land führt bei den KleinbäuerInnen zu existenzbedrohenden Situationen und zur Einschränkung der Ernährungssouveränität. Landkonflikte werden zunehmen.

Um die riesigen Sojamengen zu den Häfen zu transportieren, müssen Lastwagen über 2.000 Kilometer zu den Häfen am Atlantik fahren, sowie zusätzlich neue Straßen, Eisenbahnlinien und Hafenanlagen gebaut werden, welche die Natur und das Klima stark belasten (5).

Beutezug der EU

Ähnliche Probleme wie bei Soja treten beim Anbau von Mais, Zuckerrohr, Bioäthanol und Palmöl auf. Das geplante Abkommen fördert keine regionale Landwirtschaft, sondern stärkt wieder einmal die Agrarglobalisierung. Die Gewinner bei dieser Entwicklung werden Konzerne und Großgrundbesitzer sein. Der brasilianische Professor für Agrarökologie, Antonio Inacio Andrioli, fordert deshalb nachdrücklich: "Das Mercosur-Abkommen durch ein deutsches Veto zu verhindern, gehört zu den wichtigsten Maßnahmen, um den Schutz der Umwelt und der Menschenrechte auf beiden Seiten des Atlantiks zu fördern. Dann muss sich die internationale Agrarpolitik ändern zugunsten einer regionalen Landwirtschaft. Konkret heißt das: den Fleischkonsum senken, die Massentierhaltung reduzieren und Soja-Importe verringern" (6). Die EU-Beutezüge auf dem südamerikanischen Gebiet beschränken sich nicht nur auf Agrarprodukte, sondern umfassen ebenfalls verschiedene Rohstoffe wie Eisen, Lithium und Seltene Erden, die dringend für den Ausbau der Alternativenergie in der EU benötigt werden. Die Nutzung von Metall für den Autobau, um den geplanten Autoexport nach Lateinamerika zu intensivieren, widerspricht den verkündeten Klimazielen der EU.Foto: Jan Ganschow/Die Auslöser Berlin

Unverbindliche Bemühungsklauseln

Die Kritik am geplanten Mercosur-EU-Abkommen wird lauter und die EU versucht, mit kleinen Zugeständnissen und Tricks dem Widerstand den Wind aus den Segeln zu nehmen. Der Koalitionsvertrag der Berliner Ampelregierung verkündet wohlklingende Ziele: "Zur Erreichung der Klimaziele werden wir mehr in den Schutz bestehender Wälder und Moore und nachhaltige Aufforstungen investieren. Wir verstärken hierzu insbesondere unsere Ansätze zur Förderung der privatwirtschaftlichen und kleinbäuerlichen nachhaltigen Forstwirtschaft. Wir werden die Partnerländer bei ihrer stark ansteigenden Urbanisierung dabei unterstützen, diesen Prozess ressourcenschonend und klimasensibel zu gestalten und zu administrieren" (7).

Diesen Zielen wird das EU-Mercosur-Abkommen allerdings nicht gerecht. Um dies zu kaschieren und KritikerInnen ruhigzustellen, wurde ein unverbindliches auf Freiwilligkeit beruhendes "Nachhaltigkeitskapitel" als Zusatzklausel lanciert. Lediglich in der Diskussion sind ebenfalls "entwaldungsfreie Lieferketten".

Zu Menschenrechtsstandards und zum Schutz indigener Gemeinschaften sagt das Abkommen nichts. "Der Entwurf sieht lediglich vor, dass die Achtung nationaler Gesetzgebungen verpflichtend ist. (...) Landrechte und Entwaldung sind eng miteinander verbunden und die Zerstörung des Waldes geht im Mercosur wie auch in anderen Regionen oft mit der Verletzung von Landrechten einher. Ein wirklich wirksamer Schritt gegen Entwaldung wäre deshalb, Landrechte nach internationalen Menschenrechtsstandards zu schützen, statt sich auf teils bewusst abgeschwächte nationale Gesetzgebungen zu verlassen" (8).

Foto: Horst BlumeFlächen mehrfach verplant!

Eine weitere Folge des Mercosur-EU-Abkommens ist, dass die Übernutzung gigantischer Landflächen gefördert wird. Dem Boden wird bei intensiver Agrarnutzung massiv Nährstoff entzogen, sodass er sich nicht mehr regenerieren und neu aufbauen kann und er zu einer nicht-nachwachsenden, ehemaligen Ressource wird. das ist ähnlich wie beim Bergbau, der nach dem Abbau nur noch eine Trümmerlandschaft hinterlässt.

Durch die Dekarbonisierungsbemühungen sind weltweit neue Bedarfe in den Bereichen Rohstoffe, nachwachsenden Rohstoffen und Energie entstanden, die zu einer Überausbeutung von Ressourcen führen. Da Wind- und Solarkraftwerke eine geringere Energiedichte als Kohle und Öl haben, sind erheblich größere Landflächen nötig als in der Vergangenheit, wenn das bisherige Niveau von Produktion und Konsumtion in den Industrieländern gehalten werden soll. Diese stoffliche Grundlage der Dekarbonisierung hat sozial-ökologische Folgekosten, die in der bisherigen Diskussion viel zu wenig beachtet wurden.

Anne Tittor hat in der Extraktivismus-Debatte darauf hingewiesen, dass die Ausweitung der Nutzungsgrenzen auf Gebiete zunimmt, die zuvor aus Sicht des Kapitals als unproduktiv galten (9). Sie betont, dass große Flächen der Erde von verschiedenen Seiten beansprucht und gleich mehrfach verplant sind: "Dabei wird allerdings oft ausgeblendet, dass dies schlicht unmöglich ist, weil derart große Landflächen gar nicht zur Verfügung stehen" (10).

Foto: Horst BlumeAus Klimaschutzgründen müssen viele hundert Millionen Hektar Wald gepflanzt und Schutzgebiete für die Biodiversität ausgewiesen werden. Hinzu kämen noch riesige zusätzliche Flächen für die Energiegewinnung, nachwachsende Rohstoffe und für eine unsinnige Pflanzenproduktion, um damit Fleisch zu produzieren. Das alles geht nicht zusammen!

Das Mercosur-EU-Abkommen verstärkt also die bisher schon sehr problematische Entwicklungsrichtung noch mehr und vertieft die ungerechte Nord-Süd-Arbeitsteilung weiter. Es hilft alles nichts, die Industrieländer müssen ihre eigene desaströse Produktions- und Konsumtionsweise stoppen und ihre Wirtschaft radikal um- und zurückbauen!

Anmerkungen

1) https://taz.de/Kritik-an-Mercosur-Abkommen/!5755162/

2) https://www.abl-ev.de/apendix/news/details/baeuerlicher-widerstand-fuer-einen-solidarischen-und-auf-menschenrechten-basierenden-welthandel

3) https://www.agrarheute.com/markt/marktfruechte/brasiliens-gewaltige-sojaernte-ueberschwemmt-maerkte-602265

4) Thomas Fatheuer "Amazonien heute. Eine Region zwischen Entwicklung, Zerstörung und Klimaschutz", Heinrich Böll Stiftung, Schriften zur Ökologie, Band 46, S. 60

https://www.boell.de/sites/default/files/amazonien_heute_kommentierbar.pdf

Prokla Nr. 2105) Siehe Anmerkung 4, S. 50

6) https://www.brot-fuer-die-welt.de/blog/2020-mercosur-und-eu-nichts-als-auto-gegen-kuh/

7) Seite 120: https://www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Koalitionsvertrag/Koalitionsvertrag_2021-2025.pdf

8) https://lateinamerika-nachrichten.de/artikel/freihandel-verschaerft-waldzerstoerung/

9) Anne Tittor in "Postfossiler Extraktivismus? Die Vervielfältigung sozial-ökologischer Konflikte im Globalen Süden durch Dekarbonisierung", in PROKLA 210, März 2023

https://www.prokla.de/index.php/PROKLA/issue/view/216

10) Siehe unter 9, Seite 83

 

 

Ebenfalls interessant:

"Alles grün? Energie-Kolonialismus durch Wasserstoff-Kooperation" in "Graswurzelrevolution" Nr. 479, Mai 2023:

http://www.machtvonunten.de/?view=article&id=33:alles-gruen&catid=20:atomkraft-und-oekologie

 

Foto: Horst Blume 

Weitere Infos:

Film: "Agrokalypse - der Tag, an dem das Gensoja kam"

http://agrokalypse.de/agrokalypse

Coordination gegen BAYER-Gefahren

http://www.cbgnetwork.org/1.html

Interview mit dem brasilianischen Agrarwissenschaftler Antônio Inácio Andrioli zum Freihandelsabkommen der EU mit dem Mercosur:

https://www.kommunisten.de/rubriken/interviews/7785-eu-mercosur-abkommen-nur-auto-gegen-kuh

Wir haben es satt – Münster und Münsterland

https://www.wir-haben-es-satt-muenster.de/

 

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