Aus: "Graswurzelrevolution", Nr. 312, Oktober 2006

Links und lahm

Monatelang beschäftigten die Streitereien um eine eigenständige WASG-Kandidatur in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern die Medien. Und bundesweit: Es war die hohe Zeit der Sektierer und Hardliner aller Schatttierungen, die das einst für Viele so hoffnungsfrohe Projekt eines breiten, offensiven Widerstandes gegen den Sozialraub im innerlinken Parteienstreit haben versanden lassen.

Die WASG-Berlin hatte gute Argumente für ihre Kritik an der Linkspartei-Regierungsbeteiligung in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern. Aber war dies ein Grund, unendlich viel Energie in eine ganz und gar fruchtlose Auseinandersetzung um eine konkurrierende Parlamentskandidatur hineinzustecken? Läge den sich ereifernden WASG-Seperatisten wirklich das Wohl der Bewegung gegen den sozialen Kahlschlag am Herzen, würden sie sich nicht in rechthaberische Schaukämpfe um eine fragwürdige Kandidatur verzetteln, sondern sich schwerpunktmäßig für eine ganz neue Qualität der aktionsorientierten Verteidigung der Rechte der Arbeitslosen einsetzen.

Als ob ein besonders hoher Prozentanteil an WASG-Stimmen im Gegensatz zu den PDS-Stimmen bei einer "lahmen" parlamentarisch ausgerichteten Widerstandsbewegung tatsächlich einen Fortschritt darstellen würde. Auf diese Weise wurden Wahlprozente als Meßlatte für politische "Erfolge" bei der sich radikal wähnenden Linken wieder eingeführt. Die in langen Kämpfen gewonnenen Erkenntnisse - zerronnen sind sie mal wieder!

Die diversen konkurrierenden Kleinstfraktionen der etatistischen Linken sehen die WASG nur als willkommene Spielwiese für ihre höchst eigennützigen Profilierungsversuche und Machtspielereien an. Verzankte Paragraphenreiter und rechthaberische Querulanten setzten sich bei diesem miesen Spiel mit Geschäftsordnungstricks gegenseitig Schachmatt und bombadierten sich mit Ausschlussanträgen. Peinlich, peinlich. Das sind keine Hoffnungsträger für effektiveren Widerstand und Indikatoren eines solidarischen Miteinanders schon gar nicht. Ihr Verhalten wirkt abschreckend und demotivierend. Und vergegenwärtigen wir uns die gesamte Dimension des Schreckens: Das geht schon seit zwei Jahren so!

Bewegung in der Defensive

Die Arbeitslosen- und Hartz IV-Gruppen befinden sich zur Zeit in der Defensive. Sie sind teilweise sehr zaghaft und mutlos geworden. Da viele unerfahrene MitgliederInnen in diesen Gruppen hilfesuchend nach den angeblich so starken "Partnern" Linkspartei und DGB geschielt haben, war ihre Enttäuschung vorprogrammiert: WASG und Linkspartei sind in der entscheidenden Phase des neoliberalen Angriffs mit sich selbst beschäftigt. Der DGB zieht sich auf sein Kerngeschäft, die Betreuung seiner Kunden in den Stammbelegschaften der großen Betriebe, zurück und beteiligte sich nicht an der zentralen Demonstration am 3. Juni in Berlin. Ursprünglich als machtvolles Signal gegen den Sozialraub geplant, schrammte die TeilnehmerInnenzahl knapp an der Lächerlichkeitsgrenze vorbei.

Unterdessen spitzt sich die Lage der Arbeislosen dramatisch zu: Seit dem 1. April gilt das Auszugsverbot für Kinder vor dem 25. Lebenjahr und eine Kürzung für volljährige Kinder je Monat um 70 Euro. Ab dem 1. August greift ein besonders abschreckendes Maßnahmenpaket unter Anderem mit der Umkehrung der Beweislast bei "eheähnlichen" Gemeinschaften. Vielfach unterschätzt wird auch die "Residenzpflicht". Wer in Zukunft für einen kurzen Besuch in der Nachbarstadt seinen Heimatort verlassen will, muss vorher das Jobcenter um Erlaubnis fragen. Kinder und Jugendliche müssen in vielen Kommunen die Schulbücherpauschale von bis zu 38 Euro für das neue Schuljahr aus ihrem Alg. II-Regelsatz von 207 Euro bezahlen. Im Herbst kommt Hartz IV in der Großen Koalition auf den Prüfstand. Neue Verschärfungen im 3-Monats-Takt sind angesagt!

Der Zustand der "Linken" und vieler Arbeitslosengruppen kann in dieser Situation nur als desolat bezeichnet werden. Neidisch schauen sie nach Frankreich, wo es im Widerstand ernsthaft zur Sache geht. Zuhause wagen sie jedoch nicht mehr viel, weil selbst die Unterstützung aus dem eigenen gesellschaftlichen Umfeld unsicher geworden ist. Wer (wie ich beispielsweise) in einer Arbeitslosengruppe vorschlägt, mit vielen Menschen die lokalen Parteibüros von CDU und SPD demonstrativ zu "besuchen", erntet nichts als kleinlaute Ausflüchte: Wir sind so Wenige geworden, wer unterstützt uns überhaupt noch?

Der DGB bequemt sich endlich gnädigsterweise und sagt die Beteiligung an fünf größeren dezentralen Herbstdemonstrationen am 21. Oktober zu. Voll und ganz untätig kann er nicht bleiben, sonst wenden sich zu viele Menschen von ihm ab. Ändern wird das nicht viel. Die MLPD und ihr Gefolge führte vorher am 16. September ihre eigene Demonstration durch. Also insgesamt: The same procedure as every year!

Differenzierte Kritik ist notwendig

Damit nicht auch noch die allerletzten Dämme brechen und ein kläglicher Rest von irgendwelchem auf breiter Ebene wahrnehmbaren Widerspruch zum Sozialraub erhalten bleibt, müssen wir bei öffentlicher Kritik an der Linkspartei trotz aller Ärgernisse differenziert vorgehen, um nicht das Bild bloßer sektiererischer Rechthaberei abzugeben.

So ganz hoffnungslos scheint mir die Lage nun doch nicht zu sein. Wer auf WASG-Versammlungen geht und bei Infoständen debattiert, findet hier immer noch viele aufmüpfige Menschen, die durch kämpferische und witzige Aktionen begeistert werden können und kein Interesse an einer engstirnigen bürokratischen Partei haben. Deshalb auch das Zögern einiger WASG-MitgliederInnen, sich mit der PDS zusammenzuschließen – und ihr immer noch vorhandenes Interesse an kreativ-subversivem Widerstand. Da gibt es Anknüpfungspunkte, die immer noch genutzt werden können. Voraussetzung dafür ist natürlich, dass alle Seiten bereit und in der Lage sind, vorurteilsfrei aufeinander zuzugehen und tatsächlich miteinander zu kommunizieren.

Neue Erfahrungen oder Jammertal?

Im größten Bundesland NRW sind es noch über drei Jahre bis zur nächsten Kommunalwahl. Die nächsten zwei Jahre können also viele WASG-AktivistInnen den Kopf frei für interessante neue Erfahrungen haben. Dann kommt allerdings die Vorbereitung auf die Kommunalwahl mitsamt Pöstchenjägerei und stärkerer parlamentarischer Ausrichtung. Also auch hier: Keinerlei Illusionen, aber bewußte Wahrnehmung aktueller Chancen!

Jahrzehntelang haben sich die konsumorientierten, angepassten bundesdeutschen ArbeitnehmerInnen darauf verlassen, dass es mit ihrem relativen Wohlstand immer so weitergeht und sie auch bei Arbeitslosigkeit irgendwie noch ganz gut versorgt werden. Sie haben nie lernen müssen, sich selbst zu organisieren und für ihre Rechte wirklich zu kämpfen. Entsprechend ernüchternd ist heute das magere Ergebnis der "Proteste". Mehrheitlich wird nicht "französisch" gelernt, sondern das Jammern kultiviert – in der Hoffnung, das eine Partei zur Hilfe kommt und das man nur noch ein Kreuzchen machen muss. Oder ein Wunder geschieht. Alles ist noch wie früher, nur schlimmer.

Anmerkung:

Die Überschrift "Links und lahm" bezieht sich auf das aktuell in der PDS diskutierte Buch "Links oder lahm?", Hg. Maurer/Modrow

 

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