Aus: Graswurzelrevolution, Nr. 294, Dezember 2004

DGB: Gewerkschaft mit beschränkter Hoffnung

"Der IG BCE geht es nicht um einen grundsätzlichen Politikwechsel, sondern um Korrekturen im Detail. (...) Extremistische Gruppierungen und Parteien versuchen, die Stimmung für sich auszunutzen. Rechts- und Linksradikale melden sich lautstark zu Wort. Denen geht es sicher nicht darum, den Reformprozess in Waage zu bringen. Sie verfolgen ganz andere Ziele. (...) Wir werden niemals gemeinsame Sache mit Extremisten machen. Alles andere wäre ein Verrat an unseren Grundsätzen. (...) Wir stehen für Reformen. Wir wollen unser Deutschland modernisieren und erneuern."

Beim Lesen dieses Briefes der beiden Vorsitzenden der IG Bergbau, Chemie, Energie (IGBCE) an alle 833.000 Mitglieder der drittgrößten Einzelgewerkschaft des DGB wird klar, dass sie nicht zu unseren Verbündeten im Kampf gegen den Sozialraub gehören kann. Ja, dass die Bezeichnung Gewerkschaft in diesem Fall der blanke Hohn ist.

Im Gegensatz zur IGBCE beteiligen sich zahlreiche Untergliederungen von ver.di an den Protesten gegen Hartz IV. Doch auch hier haben die Basisstrukturen Probleme, ihre Forderungen nach mehr und konsequenteren Aktionen gegen die ver.di-Oberen durchzusetzen. Die Mitglieder auf den unteren und mittleren Organisationsebenen sind allerdings nicht immer sonderlich engagiert.

Als Dienstleistungsgewerkschaft sind viele Mitglieder von ver.di in den Arbeitsagenturen mit der Umsetzung der Hartz IV-Gesetze beschäftigt. Der Landeserwerbslosenausschuss ver.di NRW und die Landesfachgruppe Arbeitsverwaltung haben am 18. Oktober in einem gemeinsamen Positionspapier jegliche persönliche Verantwortung der KollegInnen abgestritten und "Stress und Angst" bei den Exekutoren des Sozialraubes ausgemacht: "Die Landesfachgruppe Arbeitsverwaltung sieht mit Sorge, dass die MitarbeiterInnen in den Agenturen zum Sündenbock gemacht werden sollen. Es mag einerseits verständlich sein, dass die Gebäude der Agentur wegen ihrer Symbolik für Kundgebungen attraktiv sind. Andererseits verwahren wir uns aber gegen Aktionen innerhalb und vor dem Gebäude gegenüber Beschäftigten. (...) Aktionen gegenüber Beschäftigten halten wir deshalb für verfehlt und lehnen sie entschieden ab. Protest und Kritik müssen sich an die politisch Verantwortlichen richten."

Aktionen nicht gegen, aber gegenüber Beschäftigten sind nicht nur berechtigt, sondern notwendig, um zu verdeutlichen, dass es ohne gefügige Vollstrecker keine Umsetzung von Hartz IV geben kann. In der Vergangenheit haben wir die billigen Ausreden von ArbeiterInnen in der Rüstungs- und Atomindustrie nicht gelten gelassen und mit ihnen hartnäckig diskutiert und auch schon mal deren Arbeit behindert. Wir sollten mit den Beschäftigten in den Agenturen ins Gespräch kommen, Informationen austauschen und zusammen verschiedenstufige Weigerungs- und Widerstandformen entwickeln. Die Voraussetzung hierfür ist, dass sich die Agenturbeschäftigten nicht einigeln, sondern lernen, offen und gleichberechtigt mit ihren "Kunden" zu diskutieren.

Zur Zeit sammelt die IG Metall zusammen mit anderen Einzelgewerkschaften mit viel propagandistischem Aufwand Unterschriften für ein "Arbeitnehmerbegehren". Angesichts der zugespitzten Situation und der Angriffe auf die sozialen Rechte der ArbeiterInnen ist der Inhalt dieser zahmen Bittschrift unangebracht: "Wir brauchen mehr umweltverträgliches Wachstum, mehr Beschäftigung, mehr Chancengleichheit und mehr sozialen Zusammenhalt. (...) Wir fordern: Ein gerechteres, einfacheres und ergiebigeres Steuersystem - mit einer Vermögenssteuer, die große Vermögen ausreichend an der Finanzierung des Gemeinwesens beteiligt! (...) Statt Arbeitszeitverlängerung - humane Arbeitszeiten und eine gerechte Verteilung der Erwerbsarbeit für Männer und Frauen!"

Das bedeutet konkret: Es wird keine Forderung nach Rücknahme von Hartz IV gestellt. Offensiver Einsatz für Arbeitszeitverkürzung ist kein Thema mehr. Mit der schwammigen Floskel für ein "ergiebigeres Steuersystem" wird die Forderung nach der Rücknahme der unternehmerfreundlichen Gewinnsteuersenkung durch Rotgrün zu Grabe getragen. Kein Wunder, dass diese harmlosen, unkonkreten Aussagen auf wenig Gegenliebe stoßen. Gerade mal ein Fünftel der Mitglieder unterschrieben (ND 25. 10. 2004).

Während die Titelseite der Oktoberausgabe der Mitgliederzeitung "Metall" zu Hartz IV noch proklamiert "Widerstand lohnt sich", ist im Innenteil zu lesen: "Um so wichtiger ist es, dass die Bundesregierung die Gewerkschaften endlich wieder mit ins Boot nimmt und uns Beteiligungsrechte bei der Planung und Umsetzung der Ein-Euro-Jobs eröffnet" (S. 11). Wer so redet, der leistet keinen Widerstand mehr, sondern versucht nur noch den Sozialraub ein bisschen abzufedern.

Innerhalb der IG Metall ist jetzt nicht mehr die Solidarität gefragt, sondern es findet zur Zeit bei der Mitgliederwerbung ein Strategiewechsel statt. Der höchst zweifelhafte "Nutzwert" dieser Organisation soll für Neumitglieder durch Hilfen bei der Karriereplanung sowie bei Gehaltsverhandlungen und für Weiterbildung aufgepeppt werden. In NRW will der neue Bezirksleiter die Gewerkschaft wie ein "normales" Unternehmen mit Filialen führen. Jetzt treten 46 Verwaltungsstellen bei der Mitgliederwerbung gegeneinander an. Mal sehen, was mit den "Versagern" passiert ...

Seit vielen Jahren begreifen sich die DGB-Spitzenfunktionäre als betriebliche Co-Manager für die Sicherung des Standortes Deutschlands. Sie sind seit Jahrzehnten fest in das institutionalisierte System der Sozialpartnerschaft eingebunden und haben ihren Frieden mit der Ausbeutung gemacht. Ihre mitunter starken Sprüche in Krisenzeiten meinen sie nicht wirklich ernst. Sie sind Papiertiger und verhandeln mit der Kapitalseite nur noch über Rückschritte, wie die Auseinandersetzungen bei Karstadt/Quelle und Opel zeigen. Sie sind überflüssig.

 

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