Aus: "Graswurzelrevolution", Nr. 317, März 2007

Gate Gourmet: Widerstand schmeckt uns!

"Schon wieder so ein kümmerliches Toastbrot in einer dreieckigen Pappschachtel. So ein mieser Service hier. Früher gabs noch ein tolles Frühstück mit knackigen Brötchen" maulte der verwöhnte Gourmet, während er lässig von seinem Sitz aus durch die Flugzeugluke die Wolken von oben betrachtete. Schon das vierte mal flog er dieses Jahr nach Mallorca, natürlich zum Supersondersparpreis. Für diejenigen, auf deren Kosten dieser Preis zustande kam, hatte er nur ein bedauerndes Achselzucken übrig.

Im Sturmschritt rannten mehrere Gruppen auf das Flugzeug los. Stimmen riefen "aufmachen, verdammt nochmal aufmachen!" Und jetzt schnell, schnell die Leute vom Operativbereich, vom Putzen, vom Catering, die Fahrer. Alle auf einmal rein. Kabel, ein fliegender Staubsauger. Zehn Leute auf vier Quadratmetern: Ellenbogen stoßen, Gebrüll, Tritte sogar – hier geht es um Sekunden. Eine Verspätung kostet Vertragsstrafen und bewirkt, das der gesamte Flugplan des Flughafens durcheinandergerät. Von der sich zuspitzenden dramatischen Entwicklung der letzten Jahre hat unser Gourmet nichts gemerkt. Inzwischen sind aus den angesehenen Stewardessen der 80er Jahre prekärisierte Nahkampf-Kellnerinnen geworden, die mit einem etwas krampfhaft wirkenden Lächeln die leere Pappschachtel von seinem Klapptischchen abräumen, um sich anschließend schnell den nächsten ihnen zugedachten Aufgaben zu widmen.

Ökonomie-Terror

Der Flughafen ist eine große Fabrik geworden, beherrscht von McKinsey. Diese zerlegen kollektive Arbeitsprozesse in lauter monotone Einzeltätigkeiten, damit alles schneller geht und ein Teil der Leute entlassen werden kann. Besonders aggressiv geht es bei dem internationalen Catering-Konzern Gate Gourmet zu. Was beim ersten Hinschauen nur wie der gängige kapitalistische Alltag aussieht, entwickelt sich in dem spannend geschriebenen Buch zu einem unglaublichen Polit-Krimi mit einem bewegenden Blick hinter die Kulissen.

Ausgangspunkt des Buches ist zunächst der wilde Streik bei Gate Gourmet auf dem Londoner Flughafen London-Heathrow, der zu etwa achtzig Prozent von ArbeiterInnen mit indischer Herkunft getragen wurde. Die Folgen dieser Aktion auf dem mit jährlich 68 Millionen Passagieren drittgrößtem Flughafen waren auf der ganzen Welt spürbar.

Der tiefere Grund für diesen erbittert geführten Arbeitskampf lag darin, dass der amerikanische Finanzinvestor Texas Pacific Group (TPG) Gate Gourmet aufgekauft hatte, um dieses Unternehmen nach einer brachial durchgeführten Umstrukturierung und Verschärfung der Arbeitshetze wieder mit großem Gewinn zu verkaufen. Die ArbeiterInnen werden also wie ein Stück Vieh zum Spekulationsobjekt degradiert.

Der Streik beginnt

Von all dem ahnten die 90 streikenden KollegInnen auf dem Flughafen Düsseldorf zunächst nicht viel, als sie am 7. Oktober 2005 mit einem der längsten Streiks in der Geschichte der BRD begannen. Viele erwarteten, dass er nach der üblichen Prozentfeilscherei um eine Gehaltserhöhung ein paar Tage später durch einen Kompromiss beendet werden würde. Aber es kam völlig anders. Die TPG wischte die Gehaltsforderung von 4,5 % vom Tisch und kündigte im Gegenteil eine Lohnsenkung von 10 %, Urlaubskürzung und weitere Verschlechterungen an. Die waren an einer erwarteten „sozialpartnerschaftlichen“ Regelung nicht mehr interessiert, sondern wollten die völlige Unterwerfung. Ein Schock für die streikende Belegschaft.

Das Streiktagebuch berichtet auf geradezu hohem literarischen Niveau über die Einzelheiten der Kämpfe gegen die Chefetage, Streikbrecher und eingesetzte Leiharbeiter, die den Streik zum Schrecken der ArbeiterInnen ins Leere laufen liessen. Sicherlich ging es von Seiten der Streikenden schon mal rauhbeinig zur Sache, doch die Berichterstatter analysieren ihre Rolle in diesem Konflikt erstaunlich gründlich und selbstkritisch.

Und weil sie diese Fähigkeiten während der Auseinandersetzungen so gut weiterentwickelt haben, konnten sie bei den schwierigen Auseinandersetzungen mit einigen sogenannten Streikbrechern menschliche Größe zeigen: "Aber eine Kollegin macht sich die größten Sorgen, muss Kinder und Mann alleine ernähren und weint sehr oft. Wir sprechen im Frühdienst (im Streikdorf) darüber, wie lange sie das noch durchhalten kann, lange wird sie es nicht mehr machen. Eines Morgens bricht sie fast zusammen, wir gehen etwas in der Dunkelheit auf dem noch verwaisten Parkplatz spazieren, sie heult und ich versichere ihr, dass sie wieder reingehen kann, dass das völlig o. k. ist, was es auch ist, dann liegen wir uns in den Armen. Kurz darauf bricht sie den Streik ab."

Die Rolle der DGB-Gewerkschaften

Die Streikenden in London-Heathrow haben zum Schluss ohne die Unterstützung "ihrer" TGWU-Gewerkschaft gestreikt. In Düsseldorf waren viele ArbeiterInnen von Gate Gourmet Mitglied in der zweitkleinsten DGB-Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten (NGG). Ver.di, in der die Arbeiter von LTU und anderen Flughafenbetreibern organisiert waren, verschickte nur ein paar billige Soli-Mails und tat nichts, um den Streik aktiv zu unterstützen. Auch nichts gegen die Streikbrecherfirmen, in der sie selbst verankert ist. Dermassen im Regen stehen gelassen, nahmen die Streikenden die bei ver.di organisierten Belegschaften eher als Saboteure ihres Streiks wahr.

Beim Lesen der zahlreichen lebendigen Interviews wird deutlich, dass die Unterstützung der kleinen NGG Grenzen hatte. Einerseits stellte sie eine gewisse materielle Struktur zur Verfügung, andererseits war sie schlichtweg überfordert. Die Belegschaft musste zur Kenntnis nehmen, dass ihre "Profis" in Sachen Arbeitnehmerrechte nach einigen Wochen Streik mit ihrem Latein am Ende waren und nur noch überlegten, wie sie aus dieser Auseinandersetzung so unbeschadet wie nur möglich wieder herauskommen könnten. Eine überbetriebliche Vernetzung des Widerstandes brachte sie nicht zustande. Die NGG schlug einen Flexi-Streik bzw. einen Warnstreik vor, der jedoch zu allererst eine Wiederaufnahme der Arbeit ohne Zugeständnisse bedeutete. Ein massgeblicher Gewerkschaftler stellte sogar offen Überleglungen an, den Streik gegen den Willen der Streikenden abzubrechen – wozu NGG rein rechtlich sogar die Möglichkeit gehabt hätte!

Doch die ArbeiterInnen von Gate Gourmet lehnten diesen voreiligen Rückzugsversuch der Gewerkschaft ab und im Text des Buches wird deutlich, dass noch etwas anderes existiert haben muss, um in einer äußerst prekären Lage sechs Monate lang nicht nur der Unternehmerwillkür, sondern auch dem Kleinmut einer bürokratisch-legalistischen Gewerkschaft zu trotzen.

Autonome Organisierung

Schon als viele Monate vor dem Streik der Unmut über die unmenschlichen Arbeitsbedingungen immer größer wurde, bildete sich eine in der Öffentlichkeit unsichtbare informelle Gruppe heraus, die selbstständig agierte und den Streik vorbereitete. Diese untergründige Struktur wurde "U-Boot" genannt und agierte oft im Gegensatz zur offiziellen Gewerkschaft NGG, die in ihrer zeitweilig täglich erschienenen „Streikzeitung“ die Streikenden selbst wegen zu forschem Vorgehen kritisierte. Diese kleine Gruppe von Aktivisten übernahm vielfach die Initiative und pochte intern gegenüber der NGG auf das autonome Entscheidungsrecht der Belegschaft.

Einige Wochen nach Beginn des Streiks kamen immer mehr externe Unterstützungsgruppen aus den Sozialforen und linken Organisationen hinzu. Sie spielten eine wichtige Rolle, um wenigstens teilweise die Isolation dieses Arbeitskampfes zu durchbrechen, denn die Streikenden wurden ja vielfach von den gewerkschaftlich organisierten "Kollegen“ anderer Flughafenbetriebe im Stich gelassen.

Selbstverständlich machten sich die bewusstesten Akteure Gedanken über direkte Aktionen und Sabotage. Allerdings konnte die Belegschaft die durchgeführten LKW-Blockaden zur Verhinderung der Beladung der Flugzeuge nicht allzuoft durchführen, weil sie sonst Ärger mit der Polizei bekommen hätten. Alle ArbeiterInnen werden vom Luftfahrtsbundesamt sicherheitsüberprüft und wären bei strafbaren Handlungen ihren Job los. Die LKW-Blockaden waren nun die Aufgabe der externen UnterstützerInnen. Als Lehre aus diesen Auseinandersetzungen sollte auch mit nach Hause genommen werden, dass es für die zukünftigen Kämpfe äußerst wichtig ist unabhängige UnterstützerInnen-Strukturen aufzubauen, da auf offizielle DGB-Gremien kein Verlass ist.

Nach sechs Monaten wurde per Urabstimmung der Streik mit dem Ergebnis beendet, dass der alte Urlaubsanspruch erhalten blieb und "nur" sieben Prozent Lohnsenkung durchgesetzt werden konnten. Das Buch macht deutlich, dass das Ergebnis angesichts des massiven Angriffs der Arbeitgeber auf die Arbeitsbedingungen mit der Durchsetzung eines moderaten Manteltarifvertrages durchaus als ein gewisser Erfolg zu werten ist. Die Hauptsache war allerdings, dass sich die ArbeiterInnen nicht mehr alles gefallen liessen und ihre Menschenwürde offensiv verteidigten. Dieser Aspekt zieht sich wie ein roter Faden durch das Buch. Zum Schluss schwingt noch die berechtigte Sorge mit, wie nach der Arbeitsaufnahme der Geist der Rebellion und die neu aufgebaute Solidarität für die Zukunft erhalten bleiben können. Aber die ArbeiterInnen von Gate Gourmet haben es allen gezeigt: Widerstand ist auch unter widrigsten Umständen möglich!

Das Buch enthält eine Chronik, ein Glossar, viele Hintergrundinformationen und etwa einhundert farbige Fotos. Die gelungene Aufmachung und die ebenso spannend geschriebene wie lehrreiche Streikgeschichte ist vorbildlich.

Flying Pickets (Hrsg.): „... auf den Geschmack gekommen. Sechs Monate Streik bei Gate Gourmet. Assoziation A, Hamburg/Berlin 2007, 264 Seiten, spottbillige 12 Euro

 

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