Aus: "Graswurzelrevolution" Nr. 411, September 2016

Rotgrün will AKW-Störfall nicht aufklären!

Die BI gegen den Thorium-Hochtemperaturreaktor (THTR) in Hamm wehrt sich gegen Vertuschungsversuche

Man könnte meinen, dass sich eine Standort-Bürgerinitiative, die vor über 40 Jahren gegründet wurde, nach Reaktorstilllegung und "Atomausstieg" mittlerweile im ruhigen Fahrwasser befinden würde und sich vorwiegend der Traditionspflege widmen könnte. Doch bei der Bürgerinitiative (BI) gegen den Thorium-Hochtemperaturreaktor (THTR) in Hamm ist das etwas anders. Nicht nur Krebsfälle in der Umgebung und hohe Stilllegungskosten sorgten immer wieder für erhöhte Aufmerksamkeit.Blockade am THTR 1986

Wenige Wochen vor der geplanten Jubiläumsfeier der BI bewirkte ein Wikipedia-Diskussionseintrag des beteiligten Inbetriebnahmeleiters zum folgenschweren Störfall im Jahre 1986 für viel Aufregung. Damals klemmten die radioaktiven Brennelementekugeln in der "Rohrpost" und der hierdurch entstandene Kugelbruch wurde unbeabsichtigt in die Umgebung abgeblasen – so lautete jedenfalls die bisherige offizielle Version.

Der mittlerweile 83jährige Hermann Schollmeyer offenbarte in dem Wikipedia-Eintrag nach immerhin 30 Jahren, dass es sich beim Ablassen des radioaktiven Materials 1986 um eine eigenverantwortliche Entscheidung des damaligen Leitstandfahrers handelte, der entgegen jeder Warnung nicht mehrere Wochen auf die bestellten zusätzlichen Filter warten wollte und die radioaktive Tschernobylwolke ausnutzte, um Radioaktivität abzulassen. Ein völlig neuer Tathergang und damit ein anderes Störfallszenario als in dem 95seitigen Untersuchungsbericht der NRW-Landesregierung sind damit denkbar geworden. Da die AKW-Betreiber ausgerechnet zur Störfallzeit alle Messgeräte abgeschaltet hatten, stimmen höchstwahrscheinlich die in diesem Bericht willkürlich angenommenen "minimalen" Radioaktivitätsabgaben nicht!

NRW-Grüne an Aufklärung nicht interessiert!

Über den Skandal im Skandal wurde in den Medien intensiv berichtet und die Piratenfraktion im NRW-Landtag sowie der Bundestagsabgeordnete Hubertus Zdebel (Die Linke) stellten Anfragen zu diesem Thema. Als im Landtag die THTR-Anfrage zur Sprache kam, folgte die nächste Überraschung: Die rotgrüne NRW-Landesregierung lehnte weitere Untersuchungen ab, verwies auf den zweifelhaften Untersuchungsbericht von 1986 und bestritt die Wahrscheinlichkeit höherer Radioaktivitätsabgaben, die unmittelbar nach dem Störfall durch eigene Messungen des Ökoinstituts und Professor Grönemeyer bestätigt wurden. Ausgerechnet Hans Christian Markert, der umweltpolitische Sprecher der Grünen im Landtag, bezeichnete die Bemühungen um Aufklärung als "rückwärtsgewandte Diskussion" und will sich lieber "der Zukunft zuwenden", indem er sich mit belgischen Atomkraftwerken beschäftigt!Blockade am THTR 1986

Jahrzehntelang haben rotgrüne Regierungen im Bund und im Land NRW die Weiterentwicklung des THTR betrieben und bis vor wenigen Jahren HTR-Forschungsförderung finanziert. Jetzt soll dieses für sie äußerst peinliche Thema endgültig zu den Akten gelegt werden. Doch so einfach ist das nicht. Bei der Diskussion über den Rückbau des THTR wird es ihnen erneut auf die Füße fallen. Und vor allem: Mit rotgrüner Hilfe wurde das THTR-Know how nach China, Südafrika, USA und innerhalb der EU exportiert. Der THTR-Geist ist aus der NRW-Flasche entwichen und treibt in der ganzen Welt sein Unwesen.

Hochtemperatur-Reaktoren aus NRW als Exportschlager!

Nur wenige Kilometer von NRW entfernt ergriff vor wenigen Wochen die niederländische Regierungspartei VVD die Initiative für einen HTR-Bau in der Region Overijssel. In China soll nach dem bereits existierenden Versuchsreaktor in Peking im Dezember 2017 ein 200 MW HTR in Shandong fertiggestellt worden sein.

Das Forschungszentrum Jülich (an dem NRW beteiligt ist) unterstützte offensiv den Bau des HTR in Südafrika, der TÜV Rheinland fügte ein Qualitätszertifikat hinzu. Nachdem das teure Experiment 2009 gescheitert war, will eine chinesisch-südafrikanische Kooperation 2016 einen weiteren Versuch starten. Während die EU-weiten Forschungen weitergehen, hat ein US-amerikanisches Startup-Unternehmen 50 Millionen Dollar erhalten und wenn die Brennelementekugeln aus dem kleinen Jülicher HTR tatsächlich in die USA (und nicht ins Brennelementezwischenlager nach Ahaus) gebracht werden sollten, könnte es gleich damit weiterexperimentieren.Kundgebung am THTR 1986

Die von der Bundesregierung zu benennenden Berichterstatter an die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO) zeichnen selbst heute noch durchweg ein völlig unkritisches und positives Bild über die HTR-Technologie aus der BRD und verstärken damit die Renaissance dieses Reaktortyps weltweit. Die deutsche THTR-Realität ist im Ausland dagegen fast unbekannt. Umso wichtiger wäre es in solch einer Situation, eine kritische Störfall-Aufarbeitung in NRW. Wenn im Mai 2017 in NRW Landtagswahlen sind, werden wir zuvor auf dieses haarsträubende Verhalten der rotgrünen Landesregierung noch zu sprechen kommen.

Innerhalb der BRD können wir als kleine Bürgerinitiative immer noch gut intervenieren, wenn es um die THTR-Debatte geht. Wenn aber von Rotgrün hochgepäppelte (inzwischen meist pensionierte) Wissenschaftler des Forschungszentrums Jülich (FZJ) mit üppigem Budget immer noch in der ganzen Welt herumreisen, um diesen Pleitereaktor anderen Ländern schmackhaft zu machen, dann können wir natürlich in dieser Form nicht mithalten. Wir betreiben jedoch die intensiv genutzte Homepage "Reaktorpleite.de", wo sich Menschen in der ganzen Welt informieren können, welche Erfahrungen in der BRD mit dieser Reaktorlinie gemacht wurden.

Am 4. Juni 2016 haben wir mit unserer gut besuchten Fahrradtour vom Hammer Hauptbahnhof zum THTR gezeigt, dass wir auch nach über 40 Jahren viele Menschen bewegen können und dass wir uns auch in Zukunft intensiv in die atompolitische Diskussion einmischen.

Artikel zur Geschichte der BI Hamm:

http://www.machtvonunten.de/lokales-aus-hamm.html?view=article&id=285:40-jahre-buergerinitiative-umweltschutz-hamm&catid=21:lokales-aus-hamm

 


Veranstaltung am 19. 11. 2016 in Hamm:

Kugelhaufenreaktoren, Thorium und Transmutation - die letzten Strohhalme der Atomlobby

Die um 1990 in Deutschland gescheiterten Kugelhaufenreaktoren AVR und THTR-300 werden von der Nuklearlobby noch immer als Spitzenprodukt deutscher Ingenieurkunst, als "inhärent sicher" und fast frei von schwierigem Atommüll gefeiert. Da China einen kleinen Kugelhaufenreaktor HTR-PM voraussichtlich 2017/18 - allerdings unter sicherheitstechnisch wenig vertrauenserweckenden Bedingungen - in Betrieb nehmen wird, ist mit einem Aufflammen der Diskussion über die "verpasste Chance Kugelhaufenreaktor" zu rechnen. Mehrere Schwellenländer haben bereits Interesse am chinesischen HTR-PM bekundet. In dieser Veranstaltung werden die Geschichte der Kugelhaufenreaktoren, ihre Technik und ihre ungelösten technischen, Sicherheits- und Entsorgungsprobleme sowie ihre Stellung in der internationalen Nuklearwirtschaft erläutert. Auch die aktuellen grossen Entsorgungsprobleme der deutschen Kugelhaufenreaktoren werden ausführlich dargelegt. Kann die Anti-Atomkraftbewegung in Deutschland dieser Entwicklung tatenlos zusehen?

Datum: Sa 19.11.16

Ort: Kreisgeschäftsstelle Die Linke, Oststr. 48, 59065 Hamm

Zeit: 11 – 17h

Unkostenbeitrag für Getränke u. Verpflegung: 10 €

Veranstalter: Verschiedene Anti-Atom-Initiativen und Umweltschutzverbände in NRW

Bisher geplanter Ablauf:

11.15 – 11.45h: Jürgen Streich: Rückblick I – Kugelhaufenreaktoren einst und jetzt

12.45 – 13.15h: Horst Blume: Rückblick II – Widerstand gegen den THTR Hamm

13.15 – 14.00h: Mittagsimbiss

14.00 – 14.45h: Dr. Rainer Moormann: Aufblick – Technik und Gefährdungspotential

14.45 – 15.30h Uwe Hiksch, Naturfreunde Deutschlands e.V., Mitglied im Bundesvorstand: Weitblick – Die Situation weltweit

15.30 – 16.00h: Kaffeepause

16.00 – 17.00h: Gemeinsam TeilnehmerInnen und ReferentInnen: Ausblick: Entwicklung einer Infomations-, Kommunikations- und Widerstandsstrategie gegen die "grüne Atomkraft"

Anmelde-Anschrift und weitere Infos werden noch bekanntgegeben. Genauere Infos in etwa zwei Wochen auch hier: www.reaktorpleite.de

 

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