Anarchismus

Moment Mal, Zeitung der Westfälisch-Lippischen Landjugend, Nr. 2, 1979

Anarchismus und Terrorismus

"Pardon", 1972, Heft 7Anarchismus wird oft in die Nähe des Terrorismus gerückt und es wird Anarchisten unterstellt, sie würden Gewalt anwenden. Eine grundsätzliche Bemerkung vorab: Terroristen hat es unter Katholiken; Protestanten, Demokraten, Royalisten und Nationalisten gegeben. Es existiert weder eine Religion noch eine politische Ideologie, deren Geschichte nicht von einer mehr oder weniger terroristischen Phase belastet wäre.

Die Anarchisten wollen eine gewaltfreie, herrschaftslose Gesellschaft. Diese kann nur durch gewaltfreie, herrschaftslose Mittel erreicht werden. Der (gute) Zweck (= Anarchie) heiligt die Mittel (= Gewaltanwendung) nicht!

Trotzdem gab es von 1880 bis 1890 eine anarchistische Minderheit, die zur Erreichung ihres Zieles die sog. "Propaganda der Tat" empfahlen. Darunter verstanden sie unter Anderem das Ausführen von Attentaten gegen Despoten und Unterdrücker (z. B. Zar und Kaiser). Es waren Akte individueller Rebellion gegen Schlechtigkeit und Ungerechtigkeit. Die Anarchisten, die damals Attentate (es waren lächerlich wenig; man kann sie an den Fingern abzählen) begangen haben, waren empfindlicher als andere Menschen und schneller dabei, Unterdrückung übelzunehmen.

Die individuellen Attentate gegen Unterdrücker, Tyrannen und Despoten waren damals harmlos im Vergleich zum Massenterror, der von den Herrschenden ausging. Denn die Zeit von 1880 bis 1890 war die Zeit der Sozialistengesetze und einer schlimmen Unterdrückung für die gesamte Arbeiterbewegung. Selbst der Sozialdemokrat August Bebel wies 1898 in der Broschüre "Attentate und Sozialdemokratie" darauf hin, daß es unter den 50 politischen Attentätern der letzten zwei Jahrzehnte Mönche, Adelige, Bürger und nur ganz wenige Anarchisten gegeben hatte. Ohne sich mit den Anarchisten zu identifizieren, sagte Bebel wörtlich: "Keine Klasse, keine Schicht der Gesellschaft kann sich freisprechen von der Anklage, Attentäter gestellt zu haben."

Fazit: Falsch ist es aus dieser Episode auf eine besondere Gewalttätigkeit des Anarchismus zu schließen. Die Anarchisten haben erkannt, daß eine befreiende Gewalt sich in der Geschichte immer wieder in eine Knechtende (siehe Sowjetunion!) verkehrt hat.

Gegen Anarchisten wird polemisiert, sie würden die "staatliche Ordnung" ablehnen. Was bedeutet denn "staatliche Ordnung"? Die Geschichte der Staatsgründungen ist eine Geschichte von inneren und äußeren Machtkämpfen, von Blutvergießen und Terror. Unsere Staatsgrenzen sind nicht Ausdruck natürlicher oder sprachlicher Gliederung, sondern sie verdanken ihr Entstehen dem militärischen Kräfteverhältnis von Herrscherhäusern und anderen Machtgruppen. Darum ist der Staat nicht ein Resultat menschlicher Zusammenarbeit, sondern der Willkür. Wie Staaten entstehen, sehen wir heute in Afrika und Asien, wo sich vor unseren Augen ungefähr dasselbe blutige Ringen um Territorialherrschaft vollzieht, das am Anfang unseres Staatensystems gestanden hat.

 

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