Aus: "Der Igel", Eine-Welt- und Umweltmagazin für Hamm, Nr. 1, 1999

Nachruf: Danke – Winfried Geldermann

Am 4. Januar 1999 verstarb Winfried Geldermann nach längerer Krankheit im 73. Lebensjahr. Er war viele Jahre lang Pastor in der Christuskirche im Hammer Westen. Heute leben wir in einer Zeit, in der Themen wie Umweltschutz oder die 3. Welt-Problematik in vieler Munde sind. Wer diese Fragestellungen in den 70er Jahren aufgriff, galt jedoch bestenfalls als Exot und mußte wie Wilfried mit einigen Anfeindungen rechnen.

Zusammen mit seiner Ehefrau Gertrud leistete Winfried wahre Pionierarbeit, als er den 1973 eröffneten "3. Welt Shop" in der Nassauerstraße unterstützte und im "Arbeitskreis 3. Welt" mitarbeitete. Schnell wurde das Gemeindehaus der Christuskirche zu einem Treffpunkt, in dem engagierte Menschen ihre Veranstaltungen und Kampagnen vorbereiteten.

Da gab es z. B. 1978 die Aktion "Jute statt Plastik", bei der in Frauenkooperativen Bangladeshs hergestellte Jutetaschen verkauft wurden, um den Plastiktaschenverbrauch einzudämmen. Hierbei thematisierten Winfried und seine Freunde auch Herrschafts- und Eigentumsfragen, um die sich heute wieder viele Menschen herumdrücken wollen: "20% der Weltbevölkerung verbrauchen 80% des Reichtums dieser Welt" ("Der Grüne Hammer" Nr. 6, 1979).

Ende der 70er Jahre ging in Hamm vom "Arbeitskreis 3. Welt" auch der Boykott südafrikanischer Früchte aus, um die Apartheid aufzuheben. Ein Schweigemarsch wurde durchgeführt und auf die fehlende Möglichkeit der Kriegsdienstverweigerung für Weiße in Südafrika hingewiesen. An noch vielen anderen Aktivitäten war Winfried beteiligt.

Er gehörte aber nicht zu denen, die bei jeder Gelegenheit das Rampenlicht der Öffentlichkeit suchten, um auch ja mit einem Foto in der Lokalpresse präsent zu sein. Er arbeitete vielmehr im Stillen als Gleicher unter Gleichen mit - beharrlich über Jahrzehnte hinweg und zielstrebig. Und das macht schließlich einen guten gewaltfreien Kämpfer aus.

Da Winfried Geldermann Mitglied der Bürgerinitiative Umweltschutz Hamm war, wurde im Gemeindezentrum schon vor fast 20 Jahren eine ganze Filmreihe über den Kampf gegen Atomanlagen in Wyhl und Gorleben gezeigt. Und: Er kam - oft mit dem Fahrrad aus dem fernen Westen - nicht nur dann zum THTR nach Uentrop, wenn ausnahmsweise sowieso schon Hunderte demonstrierten. - Viel wichtiger war, daß er zusammen mit seiner Frau uns durch seinen freundlichen und unaufdringlichen Beistand das gute Gefühl gab, auch bei kleineren Aktionen nicht alleine dazustehen!

Wir verlieren in Winfried nicht nur einen wichtigen Mitstreiter, sondem auch einen in allen Lebenslagen immer hilfsbereiten Menschen.

 

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Aus: "Informations-Dienst zur Verbreitung unterbliebener Nachrichten", 29. Mai 1976

Aktiv gegen den Bau von Atomkraftwerken: Schmehausen

In Schmehausen bei Hamm wird zur Zeit ein Atomkraftwerk (300 Megawatt) gebaut. Darüberhinaus soll in Kürze der Bau eines weiteren Atomkraftwerks mit der vierfachen Leistung in Angriff genommen werden. Langfristig ist geplant, bei Hamm eine der größten Atomkraftwerksansammlungen Europas zu errichten.

Um sich gegen den Bau der Atomkraftwerke und die damit verbundenen Gefahren zur Wehr zu setzen, gründete sich im Februar 1976 die Bürgerinitiative Umweltschutz Hamm. Es wurden Informationsstände aufgebaut und Flugblätter verteilt. Es erschienen zahlreiche Leserbriefe und Berichte in der lokalen Presse. Man begann, mit den ebenfalls gegründeten Bürgerinitiativen in Bönen, Welver, Norddinker, Münster und Arnsberg zusammenzuarbeiten.

Auf dem Lande gab es vier größere Veranstaltungen, zu denen bis zu 200 Bauern gekommen sind. Die Bauern befürchten hauptsächlich negative Auswirkungen der Atomkraftwerke auf die Landwirtschaft durch Klimaveränderung und Anreicherung von radioaktiven Stoffen in Pflanzen und Tieren.

Auf dem viertägigen Erörterungstermin am 11. 3. 1976 wurden die Bedenken der Bürgerinitiativen nicht ausgeräumt, sondern bestätigt. Auf zahlreichen Parteiveranstaltungen konnten die Mitglieder der Bürgerinitiativen der Öffentlichkeit beweisen, daß die Politiker sich entweder mit dem Thema nicht genügend beschäftigt haben, oder Atomkraftwerke kritiklos bejahten.

Daß der Bau von Atomkraftwerken auch den Verlust von Arbeitsplätzen bedeuten kann, wurde vielen Bürgern im Raum Hamm schnell klar. Nachdem die 1.300 Bergleute die Schließung der Zeche Sachsen fast kampflos hingenommen hatten, müssen jetzt die Bergleute der Zeche Monopol in Bergkamen um ihre Arbeitsplätze bangen. Doch schon 1973 hat die Belegschaft von Monopol die Schließung verhindern können. Der Stilllegungsbeschluß wurde allerdings damals nur mit der Auflage zurückgenommen, daß ein Kohlekraftwerk in Bergkamen errichtet wird. Das Kohlekraftwerk kann jedoch nur gebaut werden, wenn die Vereinigten Elektrizitätswerke (VEW) als zuständiges Versorgungsunternehmen langfristige Abnahmeverträge abschließt. Doch dazu sind sie nicht bereit.

Offensichtlich bringt ein Atomkraftwerk der VEW mehr Gewinn ein als ein Kohlekraftwerk. Die Bürgerinitiativen werden sich mit den Arbeitern der Zeche Monopol verstärkt für den Erhalt der Arbeitsplätze und gegen den Bau des Atomkraftwerkes einsetzen.

Am Samstag, dem 29. Mai veranstalteten die Bürgerinitiativen von Hamm, Welver, Bönen, Klotingen, Norddinker, Arnsberg und Münster in der Nähe von Norddinker ein Volksfest mit Kundgebung.

Nachbemerkung:

Die Bürgerinitiative als Arbeitsgruppe entstand bereits 1975. Als eingetragener Verein mit Vorstand und Satzung wurde sie allerdings erst im Februar 1976 gegründet.

Der "Informations-Dienst zur Verbreitung unterbliebener Nachrichten" (ID) war in den 70er Jahren die wichtigste basisorientierte und linksradikale "Wochenzeitung" in der BRD. Wenn bei Wikipedia geschrieben wird, der ID würde als "Vorläufer" der (heutigen liberal-grünen) "TAZ" gelten, dann kann damit natürlich nur die 1978 gegründete "Die Tageszeitung" gemeint sein, die in ihrer ursprünglichen Ausrichtung nur wenige Jahre lang existierte:

http://de.wikipedia.org/wiki/Informations-Dienst_zur_Verbreitung_unterbliebener_Nachrichten

Fast wortgleich erschien dieser Artikel ebenfalls am 11. 6. 1976 in der Wochenzeitung "die Tat", herausgegeben von der "Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes" (VVN).

 

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"Uentroper Umweltzeitung – Die Bürgerinitiativen informieren", Nr. 2, 1977

Kein Atomkraftwerk mit unserem Geld!

Stromgeldverweigerung als Protestform (mit Nachwort)

Die Bürgerbewegung gegen die Atomenergie befindet sich in einer schwierigen Lage: Auf der einen Seite wird die Zahl derjenigen, die eine Nutzung der Atomenergie ablehnen, immer größer, aber andererseits haben diese Bürger nicht die Möglichkeit, ihren Protest und ihren Widerstandswillen in einer ihnen gemäßen Weise zum Ausdruck zu bringen.

Es ist sogar zu befürchten, daß die gewaltsamen Auseinandersetzungen um die Bauplätze der Atomkraftwerke in Brokdorf und Grohhde eine große Zahl von Menschen davon abgehalten hat, sich auf die Seite der Atomenergiegegner zu stellen.

Wenn der Widerstand gegen die Atomenergie in Zukunft nicht nur eine Sache von jungen, risikobereiten Leuten sein soll, sondern Bürger jeden Alters und jeden Standes miteinbeziehen soll, müssen wir gewaltfreie Widerstandsformen finden, deren Anwendung jedem offensteht, der das damit verbundene, möglichst abschätzbare Risiko tragen will. Eine solche Möglichkeit, neben der es natürlich noch eine große Zahl weiterer gibt, ist der "Stromzahlungsboykott". Wie er verwirklicht werden kann, soll an dieser Stelle nur kurz geschildert werden.

"Stromzahlungsboykott" ist die Verweigerung der Zahlung eines bestimmten Teils der Stromrechnung an das beliefernde Elektrizitätswerk. Da die E-Werke mit dem Geld, das sie von den Stromverbrauchern bekommen, auch den Bau ihrer Atomkraftwerke finanzieren, bedeutet "Stromzahlungsboykott", daß man den E-Werken die bisher stillschweigend gewährte Unterstützung für ein Vorhaben entzieht, das man strikt ablehnt und das man vielleicht schon auf andere Weise bekämpft hat.

Stromzahlungsboykott-Flugi in Hamm 1977, Auflage: 4000Der erste Schritt sieht so aus, daß sich diejenigen, die sich entschlossen haben, nicht mehr zur Finanzierung von Atomkraftwerken beizutragen, andere Personen ansprechen, um eine örtliche Boykottgruppe zu bilden. Man beschließt, die Boykottaktion erst dann zu beginnen, wenn man eine Mindestanzahl von Teilnehmern gefunden hat. Die Boykottteilnehmer werden schriftlich erklären, an der Aktion teilnehmen zu wollen, wenn es noch weitere 99 (oder 999) tun wollen.

Vorsichtshalber schreiben diejenigen, die ihrem E-Werk eine Abbuchungsvollmacht für die Stromrechnung erteilt haben, dem E-Werk eine Brief, in dem sie die Abbuchungsvollmacht zurücknehmen und um die Zustellung von vorgedruckten Überweisungsträgern bitten. Die Boykottgruppen haben inzwischen ein eigenes Konto eingerichtet, auf das sie das Geld, das sie nicht mehr an das E-Werk zahlen wollen, einzahlen werden.

Dieses Geld soll, wenn das E-Werk den Forderungen der Boykotteilnehmer nachgekommen ist, dem E-Werk in voller Höhe ausgezahlt werden, damit man sich nicht der Nichtbezahlung von abgonommener Ware, dem verbrauchtem Strom, schuldig macht. Diese Person zeigt dadurch, daß sie sich nicht am E-Werk persönlich bereichern will, sondern sie verspricht die volle Auszahlung des zurückgehaltenen Geldes, das dem E-Werk nur für bestimmte Zeit nicht zugänglich ist. Wie hoch die Summe des einbehaltenen Geldes ist, muß überlegt werden. Ein Betrag von 10 % der Stromrechnung ist sicher nicht zu hoch.

Wenn sich nun genügend Boykotteilnehmer gefunden haben, wird eine Delegation zu dem betreffenden E-Werk geschickt. Diese Leute unterbreiten einem Vertreter des E-Werkes die vorher von allen Boykotteilnehmern abgesprochenen Forderungen. Wenn das E-Werk auf diese Forderungen eingeht, was allerdings unwahrscheinlich ist, wird der Stromzahlungsboykott überflüssig. Andernfalls aber beschließt eine weitere Vollversammlung aller Boykotteilnehmer, ob der Boykott begonnen werden soll oder nicht. Wenn begonnen werden soll, wird ein Termin festgesetzt, nach dem von allen Rechnungen, die das E-Werk schickt, nur noch 90 % bezahlt werden. Die restlichen 10 % kommen auf das Konto der Boykottgruppen.

Stromzahlungsboykott-Broschüre, 1977Der Arbeitsaufwand des E-Werkes wird dadurch, daß eine Zahl von Leuten ihre Rechnungen nur noch zu 90 % bezahlen, sehr viel größer, weil die Komputer solche Aktionen nicht verarbeiten können. Noch schlimmer wird es natürlich, wenn Boykotteilnehmer vielleicht ihre 90,72 DM nicht einfach überweisen, sondern bar bezahlen oder nur einen Teil überweisen und den Rest bar bezahlen oder gar die 90 % in kleinen Raten begleichen, etwa heute 1,50 DM in bar, morgen 37,85 DM überweisen, übermorgen 0,31 DM per Scheck und so weiter.

Das E-Werk wird sich überlegen, wie es dem Boykott begegnen kann. Es wird den Boykotteilnehmern erst Mahnungen und später Zahlungsbefehle schicken. Die Boykotteilnehmer werden daraufhin Widerspruch einlegen. Die Begründung wird beispielsweise lauten: Man will dem E-Werk das Geld nicht für immer, sondern nur für einen bestimmten Zeitraum vorenthalten. Die nach einiger Zeit stattfindende Verhandlung vor dem Amtsgericht wird große Möglichkeiten der Öffentlichkeitsarbeit ausschöpfen helfen. Im wahrscheinlichsten Fall werden die Boykottteilnehmer bei der Verhandlung zur Zahlung der gesamten Stromrechnung verpflichtet. Diese juristischen Vorgänge spielen sich auf zivilrechtlicher Ebene ab‚ nicht auf strafrechtlicher. Ein Stromzahlungsboykott ist nach Auskunft mehrerer Juristen keine strafbare Handlung.

Aufkleber 1977Auf Grund der Kürze dieses Artikels müssen dem Leser notwendigerweise noch zahlreiche Fragen offenstehen und einige Probleme unangesprochen bleiben. Für diejenigen, die sich mit dem Stromzahlungsboykott mehr beschäftigen wollen oder selber mitmachen wollen, ist eine Broschüre erschienen, die von Michael Schweizer (BI Welver) und Theo Hengesbach (Gewaltfreie Aktion Umweltschutz Dortmund) mit Hilfe von Freunden aus anderen Bürgerinitiativen zusammengestellt worden ist. In der Broschüre finden sich Kapitel zur Methode, zu Erfahrungen aus anderen Ländern, zu juristischen Fragen sowie eine Literaturliste und Kontaktaddressen.

Nachwort:

1977 und 1978 wurden etwa 4.000 vierseitige Flugblätter in Hamm mit einem ausführlichen Aufruf zur Stromgeldverweigerung verteilt. In Hamm haben sich nur etwas über ein Dutzend Haushalte tatsächlich beteiligt. In Dortmund, wo die Gewaltfreie Aktion Umweltschutz Dortmund diese Aktion zu ihrem Schwerpunkt machte, waren es über 100 Haushalte und die öffentliche Wirkung war dort enorm. Einen großen Anteil an dem Erfolg hatte Theo Hengesbach, der leider 2009 verstorben ist. Nachruf:

http://www.machtvonunten.de/lokales-aus-hamm.html?view=article&id=286:zum-tod-von-theo-hengesbach&catid=21:lokales-aus-hamm

Broschüre von Theo Hengesbach: "Ziviler Ungehorsam und Demokratie"Die Hammer Bürgerinitiatve hatte als THTR-Standort-BI zahlreiche andere Aufgaben wahrzunehmen und konnte sich diesem Projekt nicht mit ganzer Kraft widmen. Der "Strobo" war eine sehr weitgehende Widerstandsform, der sich 1977 in Hamm noch nicht viele Menschen anschließen wollten. Außerdem stand die BI vor 36 Jahren erst am Anfang eines langen Weges. Und wie man an der etwas komplizierten Ausdrucksweise in meinem Artikel oben sehen kann, mussten wir auch selbst erst noch lernen, uns möglichst verständlich und nachvollziehbar auszudrücken.

Trotz dieses Misserfolges erhielten in Hamm zumindest viele Menschen zum ersten Mal Informationen über die verschiedenen Formen des zivilen Ungehorsams. Hiermit wurde ein Impuls gegeben, an den später viele Anti-Atom-AktivistInnen und auch die Friedensbewegung anknüpfen konnten.

Weitere Informationen zur bundesweiten Stromgeldverweigerung sind in einem sehr interessanten Artikel zu finden: "Kein AKW mit unserem Geld! Stromrechnungsboykott - 35 Jahre später" von Wolfgang Hertle: http://castor.divergences.be/spip.php?article492

Von 1977 bis 1978 erschienen insgesamt vier Ausgaben von "Uentroper Umweltzeitung – Die Bürgerinitiativen informieren". Sie wurden hauptsächlich in der ländlichen Umgebung des THTR Hamm verkauft. Herausgeber und Redakteur war Harald Haun. Heute ist er der Vorsitzende der "Bürgerinitiative Umweltschutz Hamm" und betreibt mit seiner Frau den Biolandhof Damberg in Hamm-Westtünnen: http://www.bioland-hof-damberg.de/

 

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Aus: "Ökologisch", Zeitung der Grünen Hamm, Nr. 1, 2001

Bürgeriniative Umweltschutz: 25 Jahre APO in Hamm

Vor 25 Jahren wurde die "Bürgerinitiative Umweltschutz Hamm" gegründet, um den geplanten Druckwasserreaktor in Hamm-Uentrop zu verhindern. Nach dem Aus für dieses Projekt richtete sich der Widerstand gegen den bereits im Bau befindlichen Thorium-Hochtemperatur-Reaktor (THTR). Damals waren noch alle Großparteien (SPD, CDU und FDP) vom Segen der Atomindustrie überzeugt. Offizielle Unterstützung war also nicht zu erwarten. Allerdings strikt überparteilich ausgerichtet, konnte die Bürgerinitiative den Widerstand über weltanschauliche Unterschiede hinweg bündeln und entwickeln.

Protest gegen Merkel 2012Gesellschaftlich mehrheitsfähig war der Protest allerdings während der ersten Jahre nicht. Abseits der eingefahrenen Parteipolitik die eigenen Interessen selbst zu artikulieren war für viele Menschen eine völlig neue Erfahrung.

Es muss auch daran erinnert werden, dass das vollmundige Versprechen der sozial-liberalen Bundesregierung, "mehr Demokratie" wagen zu wollen, durch Berufsverbote, Grundrechtseinschränkungen im Zuge des RAF-Terrors und den sog. Nachrüstungsbeschluss konterkariert wurde.

Von Anfang an war die Bürgerinitiative gewaltfrei ausgerichtet. Die von Gandhi geprägten Methoden und Ideen der gewaltfreien direkten Aktion beeinflussten die BI. Die Erfahrungen der bewegten 68-er Jahre in Deutschland sowie der us-amerikanischen Anti-Vietnam- , die Bürgerrechts- und Anti-AKW-Bewegung wurden ebenfalls verarbeitet. Viel Kraft wurde in die Diskussion, Umsetzung und Übertragung dieser Methoden auf die Situation vor Ort gesteckt.

Entsprechende Aktionen wurden intensiv vorbereitet. Bei den über die Jahre stattfindenden Platz- oder Gebäudebesetzungen, Zeltlager, Fastenaktionen, Blockaden oder Straßenaktionen kam es aufgrund der guten Vorbereitungen nie zu gewalttätigen Ausschreitungen. Polizei, Behörden und THTR-Betreiber (VEW) wurden über Beweggründe, Ziele und Formen des gewaltfreien Handelns informiert. Auf diese Weise wurden Aggressionspotenziale reduziert. Es ist das Verdienst der BI, dass in Hamm keine bundesweit beachtete "Schlacht um den THTR" wie in Brokdorf, Grohnde etc. stattfand.

Protest gegen Merkel 2012Doch die gewaltfreien Proteste stellten nur einen Bruchteil der Aktivitäten dar. In der Regel bedeuteten sie ausdauernde Öffentlichkeitsarbeit: Leserbriefe schreiben, Unterschriften sammeln, Resolutionen verfassen, Bildungsarbeit in Parteien und Verbänden organisieren. Auf dem Höhepunkt wurde dann in den 80er Jahren ein eigener "Umweltladen" in einem Ladenlokal an der Brüderstraße als Treffpunkt angemietet.

Juristisch und technisch interessierte Mitglieder versuchten mit einem jahrelang andauernden Rechtsstreit auch auf diesem Wege die Inbetriebnahme des THTRs zu verhindern. Für wenige Wochen erreichte die BI sogar einen Baustopp.

Mit der Gründung der kommunalen Wählergemeinschaft GRÜN-ALTERNATIVE-LISTE Hamm und dem Einzug in den Hammer Rat 1984 konnte auch dieser formale Rahmen als Forum genutzt werden. All diese vielfältigen Formen des Widerstandes ergänzten sich gegenseitig.

Die Katastrophe in Tschernobyl und der zeitgleiche Störfall in Hamm-Uentrop sorgten 1986 auch hier für einen enormen Zulauf. Viele Menschen mussten jetzt hautnah erfahren, wie "sicher" Atomkraftwerke sind. Neben den technischen und finanziellen Problemen der Betreiber war es auch der jahrzehntelange Widerstand, der 1989 zur Stillegung des THTR führte.

Seitdem begleitete die BI den THTR-Stilllegungsbetrieb kritisch. Unterstützt wurden und werden die Initiativen in Ahaus und Gorleben, wo ein Großteil des radioaktiven THTR-Mülls landete. Das Ziel, die Stilllegung aller Atomkraftwerke in Deutschland (und anderswo), ist auch unter der rotgrünen Bundesregierung nicht in Sicht. Grund genug‚ auch in Zukunft das erworbene Wissen um die Möglichkeiten und Methoden des gewaltfreien Protestes weiterzugeben.

Die BI Umweltschutz erhielt 1992 den Umweltpreis der Stadt Hamm. Dies war eine späte Würdigung der jahrelangen, ehrenamtlichen Arbeit. Dokumentiert wird die Arbeit der BI im THTR-Rundbrief, der mit bisher 68 Ausgaben innerhalb von 15 Jahren die älteste alternative Publikation in Hamm ist.

ÖkologischAnmerkung:

Die Zeitschrift "Ökologisch" hatte eine Auflage von 5.000 Exemplaren. – Ein weiterer, sehr ausführlicher Artikel über die ersten 15 Jahre der Geschichte der BI Umweltschutz Hamm ist hier einsehbar:

http://www.machtvonunten.de/lokales-aus-hamm.html?view=article&id=307:rueckblick-15-jahre-buergerinitative-umweltschutz-hamm&catid=21:lokales-aus-hammhttp://www.machtvonunten.de/lokales-aus-hamm.html?view=article&id=307:rueckblick-15-jahre-buergerinitative-umweltschutz-hamm&catid=21:lokales-aus-hamm

 

 

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Aus: "BBU-Infodienst" (Hg. Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz), Nr. 6, April/Mai 1991

Rückblick: 15 Jahre Bürgerinitative Umweltschutz Hamm

Am 18. Februar 1991 wurde die Bürgerinitiative Umweltschutz Hamm 15 Jahre alt. Dies ist ein ungewöhnliches Alter für eine Bürgerinitiative. Es ist für mich Anlaß zurückzuschauen und aus meiner Sicht die Entwicklung der Bürgerinitiative (BI) darzustellen und die dabei gemachten Erfahrungen zu bewerten.

Eine schwierige Ausgangssituation

Bereits 1970 gab es vereinzelte Einsprüche gegen den geplanten Bau des Thorium-Hochtemperatur-Reaktors (THTR)‚ aber eine längerfristig arbeitende BI gab es damals noch nicht. Erst als 1975 bekannt wurde‚ daß in Hamm zusätzlich noch ein Leichtwasserreaktor gebaut werden sollte, regte sich ein erster Widerstand.

Blockade am THTR 1986Obwohl sich Hamm mit seinen 180.000 Einwohnern stolz Großstadt nannte, entsprach das soziale und kulturelle Leben eher dem, was man gewöhnlich als tiefste Provinz bezeichnet. Der Großteil der Bevölkerung zeigte wenig Interesse an politischen Fragen und war sehr schlecht informiert. In der SPD-geführten Bundes- und Landesregierung gab es keine kritischen Stimmen zu Atomkraftwerken und auch die aus CDU und FDP bestehende Ratsmehrheit in Hamm segnete widerspruchlos alles ab, was die Energieversorgungsunternehmen ihnen vorsetzten.

Das war nicht überall so. Der Widerstand der badisch-elsässischen Bürgerinitiativen gegen das geplante Atomkraftwerk Whyl erreichte eine hohe Publizität und ließ auch in Hamm einige Menschen aufhorchen. Besonders interessant war für uns, daß der Protest von vielen konservativen Menschen ausging und die Initiativen durchweg gewaltfrei handelten.

Schon 1975 ergaben sich erste Kontakte zur Gewaltfreien Aktion Arnsberg, die Flugblätter in Hamm verteilt hatte. Bis zum 24. 12. 1975 wurden im kleineren Rahmen Einsprüche gegen den geplanten Leichtwesserreaktor gesammelt. Am 12. Januar 1976 fand eine von der westfälisch-lippischen Landjugend mit 200 Menschen sehr gut besuchte Pro- und Kontradiskussion in einem kleinen Dorf bei Hamm statt. Diese Veranstaltung gab uns Auftrieb und durch weitere Flugblätter, Presseartikel und Infostände wurde die offizielle BI-Gründung vorbereitet. Anfang Februar führten wir ein Wochenendseminar mit einem Sprecher der badisch-elsässischen Bürgerinitiativen durch, um unsere Kenntnisse über die Gefahren von AKW’s zu vertiefen und aus erster Hand weiteres Grundlaganwissen über Organisationsform und Arbeitsweise von Bürgerinitiativen zu erhalten.

Blockade am THTR 1986Hoffnungsvoller Auftakt

An der offiziellen Gründungsveranstaltung der BI am 18. 2. 1976 beteiligten sich 60 Bürger‚ von denen 47 sofort Mitglied wurden. Die BI schloß sich dem Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) an. Diese Dachorganisation ist überparteilich ausgerichtet, bevorzugt eindeutig gewaltfreie Kampftechniken und lehnt Atomkraftwerke in der ganzen Welt ab.

Der von nun an einsetzende rege Zulauf zur BI konnte nicht darüber hinwegtäuschen‚ daß wir in Hamm immer noch in der Minderheit waren. Unsere Erfahrung hat gezeigt‚ daß wir unschlüssige Bürger am ehesten mobilisieren konnten, wenn auf Veranstaltungen Pro- und Kontra-Diskutanten anwesend waren. Nachdem die Vereinigten Elektrizitätswerke Westfalen (VEW) sich auf der Podiumsdiskussion der Landjugend gründlich blamiert hatten‚ lehnten sie jede weitere Teilnahme an öffentlichen Diskussionen ab und stellten sich damit selbst ins Abseits.

Der Erörterungstermin für den geplanten Leichtwasserreaktor im März 1976 wurde genutzt‚ um unsere 1.000 Einsprüche öffentlichkeitswirksam zu vertreten. Da abzusehen war, daß wir durch unsere bisherigen Bemühungen unser Ziel nicht erreichen würden, wurde zusammen mit anderen neugegründeten Initiativen aus der Umgebung im Mai 1976 eine Kundgebung mit 600 Teilnehmern in der Nähe des Baugeländes organisiert. Hier kam es zu ersten Konflikten mit dem Kommunistischen Bund Westdeutschland, der diese überparteiliche Veranstaltung für seine egoistischen Bestrebungen mißbrauchen wollte.

In einer etwas provozierenden Form wurde von uns kurze Zeit später die finanzielle Abhängigkeit der Kommunalpolitiker von den VEW zum Thema gemacht. Zusammen mit anderen Bürgerinitiativen besetzten wir kurzzeitig und pressewirksam das Ministerium für Gesundheit und Soziales in Düsseldorf‚um die kostenlose Herausgabe der Erörterungsterminprotokolle zu erreichen.

Kundgebung am THTR 1986Eine beispielhafte Aktion

Im August 1976 unterstützte die BI das sechswöchige Zeltlager in der Nähe des Baugeländes. Im September eröffneten die VEW ihr mehrere Millionen DM teures Informationszentrum neben dem THTR. Als Reaktion hierauf haben die örtlichen Bürgerinitiativen zusammen mit der Gewaltfreien Aktion Arnsberg einen umfassenden Aktionsplan erarbeitet.

Da die VEW uns im Informationszentrum keine Gelegenheit zur Darstellung unseres Standpunktes gab, sollte auf dem stacheldrahtumzäunten Gelände vor dem Informationszentrum ein Informationszelt der Bürgerinitiativen aufgestellt werden. In einem Merkblatt für Aktionsteilnehmer wurden die Ziele der Aktion benannt und verschiedene mögliche Verlaufsformen des Konfliks und unsere sinnvollsten Reaktionen dargestellt. Nachdem 300 Menschen den Platz besetzt und ein Infozelt aufgestellt hatten‚ überreichten wir der anrückenden Polizei ein spezielles Flugblatt, indem wir unsere Aktion begründeten und unsere friedlichen Absichten bekundeten. Anschließend wurde im Dialog mit der Polizei eine bestimmte Zeit unseres Verbleibens auf dem Gelände ausgehandelt. In gelöster Atmosphäre konnten zahlreiche Gespräche mit Polizisten geführt werden.

Blockade am THTR 1986Mit dieser Aktion wurde deutlich gemacht, daß wir notfalls auch bereit waren, bestehende Gesetze zu übertreten. Die Notwendigkeit ergab sich aus dem Verhalten unserer Ansprechpartner. Ignorierte er Leserbriefe, Presseartikel, massenweisen Einspruch und Flugblätter, dann waren als nächste Schritte Kundgebungen und Demonstrationen die Folge. Reagierte auch daraufhin unser Ansprechpartner nicht, waren Blockaden, Besetzungen oder andere Formen des zivilen Ungehorsams die logische Konsequenz.

Da in einer BI Menschen aus verschiedenen Parteien und Weltanschauungen zusammenarbeiten, ist es notwendig, daß alle Mitglieder zu einer gemeinsamen Vorgehensweise finden. Da gewaltfreie Aktionen und ziviler Ungehorsam kein Selbstzweck sind, muß zunächst der bestehende legale Handlungsspielraum in vollem Umfang genutzt werden. Wird ein wichtiges Element dieses Spielraumes weggelassen, würde es zu schwerwiegenden Vermittlungsproblemen gegenüber einigen BI-Mitgliedern und der Bevölkerung führen und die Zahl der teilnehmenden und sympatisierenden Bürger verringern.

Zusammen mit der BI Wyhl erhielten wir im Dezember 1976 den Schalom-Preis der Christlichen Friedensdienste. Dieser Preis sollte helfen‚ das vorhandene Potential an friedensfördernden Energien bekanntzumachen.

Blockade am THTR 1986Die Heimsuchung

Wie so oft bei Bürgerinitiativen überstürzten sich auch bei uns im ersten Jahr nach der Gründung die Ereignisse und Aktionen. 1977 bekamen wir die politischen Grenzen unseres Engagements zu spüren: Die VEW gaben natürlich nicht von heute auf morgen ihre Vorhaben auf. Unsere Kräfte reichten nicht aus, mit der bisherigen Intensivität alle paar Wochen neue Kampagnen und Aktionen durchzuführen. Wir mußten uns auf einen langfristigen Widerstand einstellen.

Die gewaltsamen Auseinandersetzungen um das AKW Brokdorf verschärften nicht nur das Klima zwischen Befürwortern und Gegnern der Atomenergie, sondern die bewegungsinterne Debatte über die Gewaltfrage wurde zu einem alles dominierenden Streit.

Kundgebung am THTR 1986Zu den unerfreulichsten Begebenheiten in der BI-Geschichte gehörten ohne Zweifel die Ereignisse um den Osterspaziergang 1977. Ursprünglich wurde er von sieben einheimischen Bürgerinitiativen geplant. Im Laufe der Zeit kamen zu den Koordinationstreffen immer mehr auswärtige Gruppen und Einzelpersonen hinzu und drängten auf militantere Aktionen. Bei diesen Gruppen handelte es sich zum größten Teil nicht um Bürgerinitiativen, sondern um für uns recht undurchschaubare von K-Gruppen dominierte Zusammenhänge, die mit großem Aufwand die von ihnen bevorzugte Vorgehensweise durchsetzen wollten.

Arbeitsstil und Umgangsformen der bisherigen Konferenzen änderten sich schlagartig. Mit dem verständnisvollen Meinungsaustausch war es vorbei. Von nun an herrschten erbitterte Machtkämpfe. Das Gespräch eines BI-Mitgliedes mit der Polizei wurde von den meisten auswärtigen Gruppen als Verrat empfunden. Ihre Aktivitäten erschöpften sich auf dem Osterspaziergang vorrangig darin, Flugblätter gegen die einheimischen Bürgerinitiativen zu verteilen. Bei einer solchen Form der Auseinandersetzung geriet die von Atomkraftwerken ausgehende lebensbedrohende Gefahr zu Nebensache, über die nur noch wenig geredet wurde. Die VEW ließen noch im selben Jahr für 20 Millionen DM eine große Mauer um ihr Gelände bauen.

Blockade am THTR 1986Experimente mit alternativen Widerstandsformen

Nachdem die bundesweiten Auseinandersetzungen an AKW-Bauzäunen zeigten, daß Bauplatzbesetzungen im üblichen Stil nahezu unmöglich wurden, besannen sich einige Leute auf andere Formen des Widerstandes. Die Gewaltfreie Aktion Dortmund und die Bürgerinitiativen um Hamm begannen mit der Kampagne für eine 10%ige Stromgeldverweigerung. Da die Elektrizitätswerke mit dem Geld, das sie von den Stromverbrauchern erhalten, auch den Bau ihrer Atomkraftwerke finanzieren, entzieht man durch die Stromgeldverweigerung die bisher stillschweigend gewährte Unterstützung für ein Vorhaben, das man strikt ablehnt.

Blockade am THTR 1986Nach der Verteilung von über 8.000 Flugblättern beteiligten sich leider nur in Dortmund über 100 Haushalte. In Hamm dagegen wurde die Stromgeldverweigerungskampagne zwar von einer allmählich wacher werdenden Öffentlichkeit mit freundlichem Interesse zur Kenntnis genommen, aber ein massenweiser Boykott kam nicht zustande. Vielen Menschen erschien diese Widerstandsform zu ungewönlich. Sie konnten sich erst sehr langsam für eine so konsequente und weitgehende Aktion erwärmen.

Trotz dieses Mißerfolges erhielten in Hamm zumindest viele Menschen zum ersten Mal Informationen über die verschiedenen Formen des zivilen Ungehorsams. Hiermit wurde ein Impuls gegeben, an den später auch die Friedensbewegung anknüpfen konnte.

Routine und Alltag

Nachdem 1978 die NRW-Landesregierung das Genehmigungsverfahren für den geplanten Leichtwasserreaktor auf Eis legte, konzentrierte sich der Widerstand auf den im Bau befindlichen THTR. Bisher wurde seine bevorstehende Inbetriebnahme von den Burgerinitiativen als unabänderliche Tatsache hingenommen. Niemand konnte damals wissen, daß sie sich Aufgrund technischer Probleme noch bis 1985 hinauszögern würde. Die BI begann, sich in Hamm für eine längere Zeit einzurichten. Der täglich geöffnete Umweltladen bot ein breites Sortiment an Umweltliteratur an und diente uns als Tagungsraum und Kommunikationszentrum. Von hier ging die alltägliche Widerstandsarbeit aus.

Die Stadtzeitung "Der grüne Hammer" etablierte sich als Sprachrohr der Bürgerinitiativen und knüpfte Verbindungen zu anderen Umweltgruppen. Bis 1982 fanden mehrere Aktionstage und Demonstrationen mit bis zu 1500 Teilnehmern unter Beteiligung der BI statt. Als Standortbürgerinitiative hatten wir die Aufgabe, für Veranstaltungen in anderen Städten Referenten zum Thema THTR zu stellen und Broschüren zu schreiben und zu versenden. Diese Arbeit nahm einen nicht unerheblichen Teil unserer Zeit in Anspruch.

Diskussion mit Minister Jochimsen vor Schloß Oberwerries 1987Klagen wagen!

Das Planfeststellungsverfahren für den THTR wurde zwar 1970/71 durchgeführt, aber zahlreiche Ergänzungen und Änderungen wurden durch die Betreiber bei den Teilerrichtungsgenehmigungen beantragt. Wir waren der Meinung, daß bei einem teilweise veränderten Konzept die betroffenen Bürger erneut beteiligt werden müssen. In der Folgezeit klagten drei Hammer Bürger mit Unterstützung der BI gegen den THTR und legten zusätzlich Verfassungsbeschwerde ein.

Um die Spendenfreudigkeit für die Prozesse anzukurbeln, gab die BI eine "Rechtssschutzaktie" mit einem alten Stadtbild von Hamm heraus, die für 5 bis 100 DM erworben werden konnte. Im Januar 1981 kamen immerhin 200 Menschen als Demonstranten zu einer Sitzung des Verwaltungsgerichts nach Arnsberg. Noch im selben Jahr konnte ein sechswöchiger Baustop erreicht werden.

Aber mit der Zeit wurde es selbst für aktive BI-Mitglieder immer schwieriger, die komplizierten juristischen und technischen Vorgänge nachzuvollziehen. Es kamen Zweifel auf, ob ein mit so großem Aufwand betriebener Prozeß bei den derzeitigen Machtverhältnissen einen Sinn macht. Trotzdem hielt die Mehrheit der Mitglieder an der Notwendigkeit fest, bestehende Bürgerrechte auch auf juristischem Weg einzufordern. Immerhin wurde durch die jahrelange Prozeßarbeit ein umfangreiches Wissen über die technischen Probleme beim Bau des THTR’s erarbeitet. Wenn die Atomindustrie mal wieder mit ihren weitreichenden Plänen für die HTR-Linie prahlte, so konnten wir ihrem Optimismus mit unseren Erkenntnissen entgegentreten.

1986 am THTRMauerblümchen THTR

Alle unsere vielfältigen Aktivitäten in der ersten Hälfte der 80er Jahre täuschten nicht darüber hinweg, daß die vom THTR ausgehenden Gefahren im Bewußtsein der bundesweit organisierten Umweltschützer nur eine kleine Rolle spielten. Wer sich gegen den THTR engagierte, konnte sich so schnell keine Lorbeeren verdienen. Der Reaktor stand schließlich kurz vor seiner Inbetriebnahme. Trotzdem ließen wir uns nicht unterkriegen und standen regelmäßig beim BBU und den Grünen mit neuen Vorschlägen auf der Matte. Diese hatten in der Regel wichtigeres zu tun und unterstützten uns nur sehr zögerlich.

1983 beunruhigten uns die bevorstehenden Probeläufe des THTR’s. Deswegen bereiteten wir uns gründlich auf eine Demonstration am 17. September vor. Die Anti-AKW-Bewegung befand sich zu dieser Zeit in einer Flaute und es war nicht einfach, eine große Anzahl von Unterstützern zusammenzubekommen. Um auf die Demonstration aufmerksam zu machen, besetzten wir 12 Tage vorher das Informationszentrum für einen Tag und verteilten vor den Hammer Zechen ein spezielles Flugblatt für Bergleute.

Die Teilnahme von 3.000 Menschen an der Demdnstration wurde von uns unter den gegebenen Bedingungen als kleiner Erfolg angesehen. Positiv war ebenfalls das konstruktive Verhalten aller beteiligten Gruppen bei der Vorbereitung und Durchführung der Aktionen.

Blockade am THTR 1986Wahlen und Zweifel

Bisher hatten wir uns bei Wahlen damit begnügt, Wahlprüfsteine und Fragen an die Politiker zu veröffentlichen. Wir machten die Erfahrung, daß unsere Bürgeranträge und Resolutionen in kommunalen Ausschüssen untergingen, weil sich dort niemand für unser Anliegen einsetzte. Vor allen Dingen konnten wir in diesen Gremien der regierenden SPD nicht auf die Finger sehen.

Unter Beteiligung von BI-Mitgliedern wurde die kommunale Wählergemeinschaft "Grün-Alternative Liste" (GAL) gegründet und zog 1984 in das Kommunalparlament ein. Einige von uns waren nun Mandatsträger. Eine rege Antrags- und Redetätigkeit setzte ein und wurde von der Lokalpresse ausführlich dokumentiert. Es erwies sich als Vorteil, daß wir bei wichtigen Debatten über den Katastrophenschutzplan, die Inbetriebnahme und Störfälle des THTR’s und die Folgen von Tschernobyl mitreden konnten.

Die realen Einflußmöglichkeiten der GAL, aber auch der Kommunalparlamente grundsätzlich, waren jedoch gering und bescherten uns jede Menge zusätzlicher Arbeit. Nur wenige Zeitpriviligierte konnten sich ein gleichbleibendes Engagement in BI und GAL leisten. Außerdem nahm die von uns in Anspruch genommene Überparteilichkeit Schaden, da einige BI-Mitglieder andauernd als GAL-Mandatsträger in der Presse zitiert wurden. Unser Ansatz über Parteischranken hinweg den Widerstand zu verbreitern, gestaltete sich nun überaus schwierig, da Mitglieder und Sympathisanten anderer Parteien in uns Konkurrenten sahen und auf Distanz gingen. Vielleicht war deswegen unser GAL-Engagement ein Fehler. 1989 löste sich am Ende der Legislaturperiode die GAL auf.

Blockade am THTR 1986Störfälle

1986 markierten die Störfälle im THTR und die zeitgleiche Katastrophe in Tschernobyl einen Wendepunkt in der Geschichte des Widerstandes gegen den THTR. Die Aktivitäten der BI verschmolzen in dieser Zeit zunehmend mit denjenigen der "Bauern und Verbraucher". Tagelange Blockaden, Demonstrationen mit bis zu 7.000 Menschen und der Trecker-Treck nach Düsseldorf sind überregional ausreichend bekanntgeworden und sollen deswegen an dieser Stelle nicht detailliert dargestellt werden.

Bemerkenswert zurückhaltend verhielt sich bei unseren Aktionen die Polizei. Viele Polizisten hatten Angst vor der austretenden Radioaktivität und sympathisierten zeitweilig mit den erklärtermaßen gewaltfreien Aktionen. Ähnlich wie bei den Osterspaziergängen 1977 kam es zu ständigen nervenaufreibenden Konflikten zwischen gewaltfreien und nichtgewaltfreien Gruppen.

Im "Atomkraft Nein!-Kalender 1989" wurde der Polizei wegen ihrer Zurückhaltung sogar ein Vorwurf gemacht. Die angeblich "geschicktere polizeiliche Linie" hat nicht etwa ein besonders heimtückischer Repressionsapparat des Staates ausgebrütet, sondern war das Resultat von zielgerichtetem und beabsichtigtem Handeln der meisten Demonstranten. Zu grotesken Einschätzungen gelangten die Autoren im Anti-Atom-Kalender ebenfalls zum Verhalten der SPD: "Hier durchzieht die Geschichte der SPD eine Blutspur von der Bewilligung der Kriegskredite 1914 über die Zerschlagung revolutionärer Bewegungen in den 20er Jahren bis heute." Es wird deutlich, daß es den Autoren vorrangig darauf ankommt, die ideologischen Schlachten der Vergangenheit zu schlagen, anstatt mit aktuell bestehenden Widersprüchen kreativ umzugehen.

1986 vor dem THTRAuch die BI befand sich mit der SPD in einem Dauerkonflikt, da in dieser Partei viele Befürworter des THTR’s zu finden waren. Es bleibt jedoch festzuhalten, daß wir unter der SPD-Mitgliedschaft Verbündete gesucht und gefunden haben. Wer innerhalb der SPD zwischen Befürwortern und Gegnern der Atomindustrie differenziert, steht nicht zwangsläufig der SPD nahe, sondern nimmt lediglich die Realität wahr. Die Suche nach neuen revolutionären Subjekten oder systemsprengenden Konflikten ist nicht die Aufgabe der BI gewesen. Wir wollten den THTR mit gewaltfreien Mitteln verhindern und gingen gegenüber Gruppen, die etwas anderes wollten, folgerichtig auf Distanz.

Ausblick

Nachdem die Stillegung des THTR endgültig als gesichert angesehen werden kann, stellt sich für die Zukunft die Frage, wie der sogenannte sichere Einschluß des radioaktiven Materials für Jahrtausende gewährleistet werden kann. Da dieses Problem in der Öffentlichkeit kaum diskutiert wird, kommt der BI die Aufgabe zu, ein Problembewußtsein zu wecken und auf die am wenigsten schädliche Lösung zu drängen.

Blockade am THTR 1986Wir arbeiten mit der BI in Ahaus zusammen, um zu verhindern, daß die radioaktiven Brennelemente in Ahaus "zwischengelagert" werden, obwohl eine sichere Endlagerungsmöglichkeit nicht besteht. Die Zahl der aktiven Mitglieder ist seit der Stillegung des THTR’s zurückgegangen, was durchaus nachvollziehbar ist.

Der THTR-Rundbrief wird alle 2 bis 3 Monate herausgegeben, um eine überregionale Kommunikation zu gewährleisten. Ein weiteres Arbeitsfeld wird die Unterstützung der Kläger gegen den THTR sein, die auch nach seiner Stillegung hohe Gerichtskosten bezahlen sollen.

Treckertreck 1986Anmerkung:

Dieser Artikel erschien ebenfalls in "THTR-Rundbrief" Nr. 33 (1991) und "Atom" (ehemalig "Atomexpress") 1991.

Hier sind noch zwei weitere Artikel zur Geschichte der BI:

"Zeltlager gegen KKW.Der Beginn des Widerstandes gegen den THTR Hamm"
http://www.machtvonunten.de/lokales-aus-hamm.html?view=article&id=317:zeltlager-gegen-kkw&catid=21:lokales-aus-hamm

"Bürgeriniative Umweltschutz: 25 Jahre APO in Hamm"
http://www.machtvonunten.de/lokales-aus-hamm.html?view=article&id=299:buergeriniative-umweltschutz-25-jahre-apo-in-hamm&catid=21:lokales-aus-hamm

 

 

 Protestveranstaltung vor dem THTR 1987:

Protestveranstaltung vor dem THTR 1987, Foto: Horst Blume 

Protestveranstaltung vor dem THTR 1987, Foto: Horst Blume 

Protestveranstaltung vor dem THTR 1987, Foto: Horst Blume 

Protestveranstaltung vor dem THTR 1987, Foto: Horst Blume 

Protestveranstaltung vor dem THTR 1987, Foto: Horst Blume 

Protestveranstaltung vor dem THTR 1987, Foto: Horst Blume

Protestveranstaltung vor dem THTR 1987, Foto: Horst Blume 

 Protestveranstaltung vor dem THTR 1987, Foto: Horst Blume

 

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